Zum 28.5.2011 ist die Anrechnungsbestimmung für die Geschäftsgebühr in der Beratungshilfe (Anm. Abs. 2 S. 1 zu Nr. 2503 VV) geändert worden.[1] In S. 1 wurde ein zweiter Halbsatz eingefügt. Die neue Regelung lautet nunmehr wie folgt:

 
2503 Geschäftsgebühr 70,00 EUR
 

(1) Die Gebühr entsteht für das Betreiben des Geschäfts einschließlich der Information oder die Mitwirkung bei der Gestaltung eines Vertrags.

(2) Auf die Gebühren für ein anschließendes gerichtliches oder behördliches Verfahren ist diese Gebühr zur Hälfte anzurechnen; eine Anrechnung auf die Gebühren 2401 und 3103 findet nicht statt. Auf die Gebühren für ein Verfahren auf Vollstreckbarerklärung eines Vergleichs nach den §§ 796a, 796b und 796c Abs. 2 Satz 2 ZPO ist die Gebühr zu einem Viertel anzurechnen.
 

Anlass der Gesetzesänderung war die Verfassungswidrigkeit der bis dahin bestehenden Regelung, die nach wie vor Gegenstand zweier Verfassungsbeschwerden vor dem BVerfG ist.[2]

Nach dem bisherigen Wortlaut der Vorschrift der Anm. Abs. 2 S. 1 zu Nr. 2503 VV erhielt der im Verwaltungs- oder Nachprüfungsverfahren vorbefasste Anwalt im gerichtlichen Verfahren die Verfahrensgebühr der Nr. 3102 VV nicht nur aus dem geringeren Gebührenrahmen der Nr. 3103 VV, sondern musste sich darüber hinaus auch noch die Hälfte der Beratungshilfe-Geschäftsgebühr (Nr. 2503 VV) nach Anm. Abs. 2 S. 1 RVG anrechnen lassen. Er kam also bei Ansatz der Mittelgebühr zu einem Gebührenaufkommen von:

 
Praxis-Beispiel

I. Anrechnung nach bisherigem Gesetzeswortlaut

 
1. Geschäftsgebühr, Nr. 2503 VV 70,00 EUR
2. Verfahrensgebühr, Nrn. 3102, 3103 VV  170,00 EUR
3. gem. Anm. Abs. 2 zu Nr. 2503 VV anzurechnen -35,00 EUR
Gesamt 205,00 EUR

Der Anwalt, der im vorbereitenden Verfahren dagegen nicht tätig war, erhielt nach Nr. 3102 VV eine Mittelgebühr in Höhe von:

 
Praxis-Beispiel

II. Gerichtliches Verfahren ohne vorherige Befassung

 
  Verfahrensgebühr, Nr. 3102 VV  250,00 EUR

Die Rechtsprechung hatte sich dieses Problems zum Teil angenommen und damit beholfen,

in verfassungskonformer Auslegung des Gesetzes die Anrechnung zu unterlassen[3] oder
von einer Ermäßigung nach Nr. 3103 VV abzusehen.[4]

Andere Gerichte haben dagegen vor dieser offenkundigen Verfassungswidrigkeit die Augen verschlossen und streng nach Wortlaut angerechnet.[5]

Mit dem jetzt in Anm. Abs. 2 S. 1, 2. Hs. RVG geregelten Ausschluss der Anrechnung auf die Gebühren der Nrn. 2401, 3103 VV hat sich der Gesetzgeber bemüht, diese Ungleichbehandlung zu beseitigen. Es gilt danach jetzt Folgendes:

 
Praxis-Beispiel

III. Abrechnung nach neuem Recht

 
1. Geschäftsgebühr, Nr. 2503 VV 70,00 EUR
2. Verfahrensgebühr, Nrn. 3102, 3103 VV  170,00 EUR
Gesamt 240,00 EUR

Das Ziel ist allerdings nicht vollständig erreicht. Zwar erhält jetzt der Anwalt, der im Verwaltungs- oder Widerspruchsverfahren tätig war, eine höhere Vergütung als zuvor. Damit liegt er aber immer noch unter dem Betrag (250,00 EUR), den ein nicht vorbefasster Anwalt erhält.

 
Praxis-Beispiel

Darüber hinaus beläuft sich das maximale Gebührenaufkommen für den vorbefassten Anwalt auf

 
1. Geschäftsgebühr, Nr. 2503 VV 70,00 EUR
2. Verfahrensgebühr, Nrn. 3102, 3103 VV  320,00 EUR
Gesamt 390,00 EUR

während der nicht vorbefasste Anwalt eine Höchstgebühr in Höhe von

 
  Verfahrensgebühr, Nr. 3102, VV  460,00 EUR

erhalten könnte, und das bei geringerer Tätigkeit!

Es verbleibt also auch nach der Gesetzesänderung eine Ungleichbehandlung.

Darüber hinaus ergibt sich das gleiche Problem auch in verwaltungsrechtlichen Angelegenheiten sowie in sozialrechtlichen Angelegenheiten, die nach dem Gegenstandswert abgerechnet werden. Auch hier sind Konstellationen denkbar, wonach der Anwalt, der mit dem Verwaltungsverfahren, dem Nachprüfungsverfahren und dem gerichtlichen Verfahren beauftragt wird, trotz seiner Mehrarbeit im Endeffekt geringere Gebühren erhält.

Der Gesetzgeber wird bei seiner nächsten Reform hier wohl noch einmal nachbessern müssen.

[1] Gesetz zur Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 4/2009 und zur Neuordnung bestehender Aus- und Durchführungsbestimmungen auf dem Gebiet des internationalen Unterhaltsverfahrensrechts, BGBl I 898, v. 23.5.2011.
[2] 1 BvR 2473/10 und 1 BvR 2474/10.
[3] So z.B. LSG Nordrhein Westfalen ASR 2011, 77; RVGreport 2011, 179; ASR 2010, 91; SG Fulda, Beschl. v. 3.1.2011 – S 3 SF 43/10 E; OLG Schleswig ASR 2010, 273; SG Berlin AGS 2010, 34; ASR 2010, 83 = AG kompakt 2010, 28; SG Augsburg AGS 2009, 396.
[4] LSG Bayern, Beschl. v. 4.11.2010 – L 15 B 617/08 SB KO; Beschl. v. 4.3.2011 – L 15 SF 11/09 B.
[5] Z.B. LSG Jena NZS 2009, 590; SG Oldenburg, Beschl. v. 15.12.2009 – S 12 SF 194/09 E; Beschl. v. 16.10.2009 – S 12 SF 148/09 E.

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