Eine konkrete Regelung, unter welchen Voraussetzungen die Anrechnungsregelung nach Vorbem. 3 Abs. 4 VV (anteilige Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr) auf die Festsetzung der aus der Staatskasse zu zahlenden Geschäftsgebühr zu berücksichtigen ist, fehlt in dem Gesetz. Durch das Gesetz zur Modernisierung von Verfahren im anwaltlichen und notariellen Berufsrecht, zur Errichtung einer Schlichtungsstelle der Rechtsanwaltschaft sowie zur Änderung sonstiger Vorschriften v. 30.7.2009 (BGBl I. S. 2449) ist im Art. 7 Abs. 4 Nr. 6 § 55 Abs. 5 S. 2 RVG durch folgende Sätze ersetzt worden:

"Der Antrag hat die Erklärung zu enthalten, ob und welche Zahlungen der Rechtsanwalt bis zum Tag der Antragstellung erhalten hat. Bei Zahlungen auf eine anzurechnende Gebühr sind diese Zahlungen, der Satz oder der Betrag der Gebühr und bei Wertgebühren auch der zugrunde gelegte Wert anzugeben. Zahlungen, die der Rechtsanwalt nach der Antragstellung erhalten hat, hat er unverzüglich anzuzeigen."

Aus der in § 55 Abs. 5 S. 3 RVG (n.F.) geregelten umfassenden Erklärungspflicht ergibt sich hinreichend deutlich, dass eine Gebührenanrechnung im Verhältnis zur Staatskasse jedenfalls dann nicht stattfinden soll, wenn der Rechtsanwalt keine Zahlungen erhalten hat.

Vgl. dazu Hansens, AnwBl 2009, 535 (539); ferner: OLG Stuttgart, Beschl. v. 15.1.2008–8 WF 5/08, RVGreport 2008, 108 und Enders, JurBüro 2008, 561 [= AGS 2008, 561].

Diese für Fälle der vorliegenden Art in Zukunft zu beachtende – indirekte – Regelung ist nach Art. 10 des Gesetzes am 5.8.2009 in Kraft getreten. Eine Rückwirkung hat der Gesetzgeber nicht angeordnet, so dass die allgemeine Übergangsregelung in § 60 Abs. 1 S. 1 RVG eingreifen müsste. Dies kann aber dahinstehen. Denn auch für diesen Fall ist bei Altfällen der in dem "Modernisierungsgesetz" vom 30.7.2009 zum Ausdruck gekommene Wille des Gesetzgebers hinsichtlich der Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr im Verhältnis zur Staatskasse zu beachten. Der Wortlaut des § 55 Abs. 5 S. 2 RVG in der alten Fassung spricht nicht dagegen. Dafür spricht allerdings, dass der Gesetzgeber nunmehr lediglich das geregelt hat, was sich seiner Auffassung nach bereits aus der früheren Fassung des RVG ergeben hat.

Vgl. dazu Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks 16/12717 S. 68; Stellungnahme des Deutschen Anwaltsvereins durch den Ausschuss RVG und Gerichtskosten, abrufbar unter www.anwaltverein.de /45/08; Hansens, AnwBl 2009, 535; Kallenbach, AnwBl 2009, 442.

Der – verbreiteten – Rechtsprechung, vgl. dazu die Nachweise bei Hansens, AnwBl 2009, 293, Fn 7, nach der die Anrechnung der Geschäftsgebühr bei der Festsetzung der Prozesskostenhilfe-Vergütung selbst dann zu berücksichtigen war, wenn der bedürftige Mandant dem PKH-Anwalt die Geschäftsgebühr nicht gezahlt hatte, war insbesondere die Rspr. des BGH vorausgegangen, Beschl. v. 22.1.2008 – VIII ZB 57/07, NJW 2008, 1323 = AnwBl 2008, 378, nach der die in Vorbem. 3 Abs. 4 VV, geregelte Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr im Kostenfestsetzungsverfahren unabhängig davon zu berücksichtigen sei, ob die Geschäftsgebühr bezahlt oder zu Gunsten der erstattungsberechtigten Partei tituliert worden war oder ob der Rechtsanwalt sie seinem Auftraggeber überhaupt in Rechnung gestellt hat. Dieser Rechtsauffassung ist durch die Einfügung des § 15a in das RVG, in Kraft getreten ebenfalls am 5.8.2009, bei unverändert gebliebener Anrechnungsvorschrift der Boden entzogen worden. § 15a Abs. 1 RVG lautet wie folgt:

"Sieht dieses Gesetz die Anrechnung einer Gebühr auf eine andere Gebühr vor, kann der Rechtsanwalt beide Gebühren fordern, jedoch nicht mehr als den um den Anrechnungsbetrag verminderten Gesamtbetrag der beiden Gebühren."

Daraus folgt, dass beide Gebühren in voller Höhe entstehen müssen, da ansonsten keine Anrechnung auf den Gesamtbetrag beider Gebühren erfolgen könnte. Mit der Einfügung des § 15a RVG wollte der Gesetzgeber die o.g. Rechtsprechung des BGH korrigieren, weil diese unmittelbar den Absichten zuwiderlief, die der Gesetzgeber mit dem RVG ursprünglich verfolgt hatte. Ziel war allein, mit der Anrechnungsregel zu verhindern, dass der Rechtsanwalt für die betreffende Tätigkeit doppelt honoriert wird (vgl. dazu Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses BT-Drucks 16/12717 S. 67 f.).

Entsteht aber die Verfahrensgebühr in voller Höhe und nicht entsprechend der BGH-Rechtsprechung von vornherein nur in gekürzter Höhe, kann sie im Rahmen des § 55 RVG in voller Höhe berücksichtigt werden.

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