Folgen mehrere Anrechnungsvorgänge hintereinander, wird zum Teil die Auffassung vertreten, anzurechnen sei nur das nach Anrechnung verbleibende Gebührenaufkommen, da ja nicht mehr angerechnet werden könne, als der Anwalt erhalten habe. Dies ist jedoch unzutreffend und widerspricht dem eindeutigen Wortlaut des § 15a Abs. 1 RVG, wonach jede Gebühr selbstständig ist und der Anwalt nicht mehr als das um die Anrechnung verminderte Gesamtaufkommen verlangen kann.[7]

 

Beispiel 21: Mehrfache Anrechnung (1)

Der Anwalt ist zunächst in einer Baumängelsache außergerichtlich tätig (Gegenstandswert: 30.000,00 EUR). Die Sache ist sehr umfangreich, sodass eine 2,0-Gebühr angemessen ist. Anschließend führt der Anwalt das selbstständige Beweisverfahren durch. Es findet ein Sachverständigentermin statt, an dem er teilnimmt. Hiernach kommt es zum Hauptsacheverfahren, in dem nach mündlicher Verhandlung ein Urteil ergeht.

Die 2,0-Geschäftsgebühr ist auf die Verfahrensgebühr des selbstständigen Beweisverfahrens mit dem Höchstsatz von 0,75 anzurechnen (Vorbem. 3 Abs. 4 VV), da das selbstständige Beweisverfahren das erste nachfolgende gerichtliche Verfahren nach Teil 3 VV ist.[8]

Im Hauptsacheverfahren ist dann nach Vorbem. 3 Abs. 5 VV die volle – und nicht nur die um die Anrechnung verminderte – Verfahrensgebühr des selbstständigen Beweisverfahrens auf die Verfahrensgebühr des Rechtsstreits anzurechnen.

 
Hinweis

Ist eine Gebühr anzurechnen, auf die ihrerseits wiederum eine vorangegangene Gebühr anzurechnen ist, dann ist nicht nur der nach Anrechnung verbleibe Restbetrag dieser Gebühr anzurechnen, sondern der volle Gebührenbetrag vor Anrechnung.

OLG Hamm, Beschl. v. 2.9.2014 – 25 W 135/14[9]

 
 
I. Außergerichtliche Vertretung    
1. 2,0-Geschäftsgebühr, Nr. 2300 VV 1.910,00 EUR
  (Wert: 30.000,00 EUR)    
2. Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV   20,00 EUR
  Zwischensumme 1.930,00 EUR  
3. 19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV   366,70 EUR
  Gesamt 2.296,70 EUR
II. Selbstständiges Beweisverfahren    
1. 1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV 1.241,50 EUR
  (Wert: 30.000,00 EUR)    
2. gem. Vorbem 3 Abs. 4 VV anzurechnen,   – 716,25 EUR
  0,75 aus 30.000,00 EUR    
3. 1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV 1.146,00 EUR
  (Wert: 30.000,00 EUR)    
4. Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV   20,00 EUR
  Zwischensumme 1.691,25 EUR  
5. 19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV   321,34 EUR
  Gesamt 2.012,59 EUR
III. Rechtsstreit    
1. 1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV 1.241,50 EUR
  (Wert: 30.000,00 EUR)    
2. gem. Vorbem. 3 Abs. 5 VV anzurechnen,   – 1.241,50 EUR
  1,3 aus 30.000,00 EUR    
3. 1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV 1.146,00 EUR
  (Wert: 30.000,00 EUR)    
4. Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV   20,00 EUR
  Zwischensumme 1.166,00 EUR  
5. 19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV   221,54 EUR
  Gesamt 1.387,54 EUR
 

Beispiel 22: Mehrfache Anrechnung (2)

Der Anwalt macht für seinen Mandanten außergerichtlich eine Forderung i.H.v. 10.000,00 EUR geltend. Hiernach beantragt der Anwalt einen Mahnbescheid, gegen den der Antragsgegner Widerspruch einlegt, sodass das streitige Verfahren folgt.

Außergerichtlich war eine 1,3-Geschäftsgebühr Nr. 2300 VV aus 10.000,00 EUR angefallen. Im Mahnverfahren ist eine 1,0-Verfahrensgebühr (Nr. 3305 VV) entstanden, auf die die Geschäftsgebühr hälftig anzurechnen ist. Im streitigen Verfahren ist eine 1,3-Verfahrengebühr (Nr. 3100 VV) angefallen, auf die wiederum die Verfahrensgebühr des Mahnverfahrens anzurechnen ist (Anm. zu Nr. 3305 VV), und zwar in voller Höhe und nicht nur in Höhe des verbleibenden Betrags nach Anrechnung.

 
I. Außergerichtliche Vertretung    
1. 1,3-Geschäftsgebühr, Nr. 2300 VV   798,20 EUR
  (Wert: 10.000,00 EUR)    
2. Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV   20,00 EUR
  Zwischensumme 818,20 EUR  
3. Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV   155,46 EUR
  Gesamt   973,66 EUR
II. Mahnverfahren    
1. 1,0-Verfahrensgebühr, Nr. 3305 VV   614,00 EUR
  (Wert: 10.000,00 EUR)    
2. gem. Vorbem. 3 Abs. 4 VV anzurechnen,   – 399,10 EUR
  0,65 aus 10.000,00 EUR    
3. Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV   20,00 EUR
  Zwischensumme 234,90 EUR  
4. Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV   44,63 EUR
  Gesamt   279,53 EUR
III. Rechtsstreit    
1. 1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV   798,20 EUR
  (Wert: 10.000,00 EUR)    
2. gem. Anm. zu Nr. 3305 VV anzurechnen,   – 614,00 EUR
  1,0 aus 10.000,00 EUR    
3. Terminsgebühr, Nr. 3104 VV   736,80 EUR
  (Wert: 10.000,00 EUR)    
4. Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV   20,00 EUR
  Zwischensumme 941,00 EUR  
5. Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV   178,79 EUR
  Gesamt 1.119,79 EUR

Zu einer Mehrfach- oder Kettenanrechnung kann es auch kommen, wenn ein Güte- oder Schlichtungsverfahren stattfindet.

 

Beispiel 23: Anrechnung der Geschäftsgebühr eines Güte- oder Schlichtungsverfahrens mit nachfolgendem gerichtlichen Verfahren

Der Anwalt ist zunächst außergerichtlich tätig. Hiernach wird er in einem Schlichtungsverfahren nach § 15a EGZPO tätig. Danach kommt es zum Rechtsstreit mit mündlicher Verhandlung (Streitwert: 600,00 EUR).

Die Verfahrensgebühr der Nr. 2300 V...

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