ZPO §§ 8, 9

Leitsatz

Der Wert der Beschwer einer Räumungs- und Herausgabeverurteilung richtet sich gem. § 8 ZPO nach dem Betrag der auf die gesamte streitige Zeit entfallenden Miete, maximal nach dem 25fachen Betrags des einjährigen Entgelts. Nur wenn der Beendigungszeitpunkt ungewiss oder sich die streitige Zeit nicht ermitteln lässt, ist § 9 ZPO für die Bemessung der Beschwer entsprechend anwendbar und der dreieinhalbfache Wert des einjährigen Entgelts anzusetzen.

BGH, Beschl. v. 23.1.2019 – XII ZR 95/17

1 Sachverhalt

Das LG hat den Beklagten zur Räumung und Herausgabe einer gemieteten Gewerbefläche verurteilt. Die Widerklage des Beklagten hatte keinen Erfolg, soweit der Kläger auf Erstattung von Rechtsanwaltskosten für die Abwehr einer Kündigung v. 20.7.2013 in Anspruch genommen ist. Das OLG hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen und den Streitwert des Berufungsverfahrens auf 6.571,44 EUR festgesetzt. In dem vom Beklagten mit der Nichtzulassungsbeschwerde angefochtenen Berufungsurteil hat das OLG gem. §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 ZPO von der Wiedergabe des Sachverhalts abgesehen und hinsichtlich der Begründung auf die protokollierten Hinweise in der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.

2 Aus den Gründen

Die statthafte und auch i.Ü. zulässige Nichtzulassungsbeschwerde ist begründet. Die zugelassene Revision führt gem. § 544 Abs. 7 ZPO zur Aufhebung des angegriffenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

1. Die Nichtzulassungsbeschwerde des Beklagten ist gem. § 544 Abs. 1 S. 1 ZPO i.V.m. § 26 Nr. 8 EGZPO statthaft. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts übersteigt der Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer 20.000,00 EUR.

Den Wert der Beschwer hat das Revisionsgericht von Amts wegen zu prüfen. Es ist dabei weder an die Streitwertangaben der Parteien noch an die Festsetzung des Berufungsgerichts gebunden (Senatsbeschl. v. 18.7.2007 – XII ZR 87/05, juris Rn 5 m.w.N.).

Dem Berufungsurteil lässt sich zwar nicht entnehmen, was der Beklagte als Berufungskläger mit seinem Rechtsmittel erstrebt hat. Aus der Sitzungsniederschrift der Berufungsverhandlung i.V.m. den gestellten Anträgen ergibt sich indes, dass er die Abweisung der Räumungs- und Herausgabeklage und eine Verurteilung des Klägers zur Zahlung von 571,44 EUR begehrt hat.

Der Wert der Beschwer der Räumungs- und Herausgabeverurteilung richtet sich gem. § 8 ZPO vorliegend nach dem Betrag der auf die gesamte streitige Zeit entfallenden Miete, maximal nach dem 25fachen Betrag des einjährigen Entgelts. Beruft sich ein Nutzungsberechtigter gegenüber einer Kündigung auf Schutzregeln, die das Kündigungsrecht einschränken und ihm ein Recht zur Fortsetzung der Nutzung geben, so dauert die streitige Zeit i.S.d. § 8 ZPO vom Tag der Erhebung der Räumungsklage bis zu dem Zeitpunkt, den derjenige, der sich auf ein Nutzungsrecht beruft, als den für ihn günstigsten Beendigungszeitpunkt des Nutzungsvertrags in Anspruch nimmt. Nur wenn der Beendigungszeitpunkt ungewiss ist oder sich die streitige Zeit nicht ermitteln lässt, ist § 9 ZPO für die Bemessung der Beschwer entsprechend anwendbar und der dreieinhalbfache Wert des einjährigen Entgelts anzusetzen (vgl. Senatsbeschl. v. 18.10.2017 – XII ZR 6/17, WuM 2017, 724 m.w.N. und BGH Beschl. v. 3.4.2014 – V ZR 185/13, WuM 2014, 353, 354 m.w.N.).

Der Beklagte hält die vom Kläger ausgesprochenen Kündigungen für unwirksam und beruft sich auf den 1.8.2020 als den für ihn günstigsten Beendigungszeitpunkt. Mangels tatbestandlicher Feststellungen im Berufungsurteil, das entgegen § 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO auch keine Bezugnahme auf das erstinstanzliche Urteil enthält, ist insoweit allein von den Angaben in der Beschwerdebegründung auszugehen (Senatsbeschl. v. 18.7.2007 – XII ZR 87/05, juris Rn 9 m.w.N.). Als streitige Zeit i.S.d. § 8 ZPO ist daher der Zeitraum v. 29.3.2014 (Tag der Erhebung der Räumungsklage) bis zum 1.8.2020 anzusehen. Der Beklagte schuldete ausweislich des geschlossenen Mietvertrags bis zum 31.7.2014 eine Monatsmiete von 500,00 EUR und ab dem 1.8.2014 eine solche von 600,00 EUR, sodass auf die streitige Zeit eine Gesamtmiete i.H.v. 45.200,00 EUR (500,00 EUR x 4 + 600,00 EUR x 72) entfällt (vgl. MüKo-ZPO/Wöstmann, 5. Aufl., § 8 Rn 16). Daraus ergibt sich zusammen mit dem Beschwerdewert der erfolglosen Widerklage eine die Wertgrenze des § 26 Nr. 8 EGZPO übersteigende Beschwer des Beklagten i.H.v. insgesamt 45.771,44 EUR.

2. Die auch i.Ü. zulässige Nichtzulassungsbeschwerde ist begründet. Der Beklagte beanstandet zu Recht, dass das Berufungsgericht seinen Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt hat. Die zugelassene Revision führt daher gem. § 544 Abs. 7 ZPO zur Aufhebung des angegriffenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. …

AGS, S. 410 - 411

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