Leitsatz

  1. Die Höhe der gesetzlichen Gerichtsgebühren kann mit dem verfassungsrechtlichen Justizgewährungsanspruch unvereinbar sein, wenn das Kostenrisiko zu dem mit dem Verfahren angestrebten wirtschaftlichen Erfolg derart außer Verhältnis steht, dass die Anrufung der Gerichte nicht mehr sinnvoll erscheint.
  2. Es ist verfassungsrechtlich noch hinzunehmen, dass für das Verfahren über eine unstatthafte Beschwerde gegen einen unanfechtbaren Beschluss des FG bei einem Streitwert von lediglich 21,00 EUR Gerichtsgebühren von 70,00 EUR entstehen. In einem solchen Fall tritt der verfassungsrechtliche Gesichtspunkt der Ermöglichung eines Zugangs zu den Gerichten in den Hintergrund, weil ein Zugang zur Rechtsmittelinstanz – in verfassungsrechtlich bedenkenfreier Weise – von vornherein nicht eröffnet war.

BFH, Beschl. v. 15.10.2014 – X E 23/14

1 Sachverhalt

Der Kostenschuldner und Erinnerungsführer (Kostenschuldner) wendet sich gegen die Kostenrechnung für ein Beschwerdeverfahren, das er vor dem BFH gegen einen finanzgerichtlichen Beschluss geführt hatte, mit dem die vom Kostenschuldner beantragte Aufhebung der Vollziehung eines Einkommensteuerbescheids versagt worden war. Der BFH verwarf die Beschwerde als unzulässig, weil sie mangels Zulassung durch das FG nicht statthaft war (§ 128 Abs. 3 FGO) und der Kostenschuldner zudem den in § 62 Abs. 4 FGO angeordneten Vertretungszwang nicht beachtet hatte. Zuvor war der Kostenschuldner vom BFH bereits auf die Unzulässigkeit seiner Beschwerde sowie auf die Gebührenermäßigung für den Fall ihrer Rücknahme hingewiesen worden.

Die Kostenstelle des BFH legte der Kostenrechnung einen Streitwert von 21,00 EUR zugrunde (10 % des Betrags von 210,51 EUR, der in einer gegen den Kostenschuldner ergangenen Pfändungs- und Einziehungsverfügung ausgewiesen war). Gem. Nr. 6220 GKG-KostVerz. setzte die Kostenstelle 2,0 Gebühren zu je 35,00 EUR (Mindestgebühr nach § 34 Abs. 1 S. 1 GKG), insgesamt also 70,00 EUR an.

Der Kostenschuldner übersandte dem BFH daraufhin – neben zahlreichen weiteren Eingaben – eine Kopie der Kostenrechnung, auf der er handschriftlich notiert hatte: "hiermit beantrage ich d. Niederschlagung d. Kostenrechnung! ich will Prozesskostenhilfe beanspruchen! Gegen den Bescheid d. Bundesfinanzhofs habe ich Widerspruch eingelegt!!!"

Die Kostenstelle teilte dem Kostenschuldner mit, dass sie sein Schreiben als Antrag auf Niederschlagung bzw. Erlass der Gerichtskosten ansehe, und bat um Mitteilung, ob damit auch der Rechtsbehelf der Erinnerung erhoben werden sollte. Der Kostenschuldner übersandte auch dieses Schreiben in Kopie dem BFH und notierte darauf handschriftlich, nachdem er die Passage zur Erinnerung unterstrichen hatte: "Natürlich, ich kann das nicht bezahlen!"

2 Aus den Gründen

Die nach § 66 GKG statthafte Erinnerung ist unbegründet.

1. Allerdings bestehen Zweifel, ob der Kostenschuldner überhaupt eine Erinnerung hat einlegen wollen und eingelegt hat. Zwar hat er bei buchstabengetreuer Auslegung auf die Frage der Kostenstelle, ob seine Eingabe auch als Erinnerung anzusehen sei, mit der bejahenden Wendung "Natürlich" geantwortet. Zur Begründung seines Begehrens bringt er jedoch keinerlei materiell-rechtliche Einwendungen gegen die Richtigkeit der Kostenrechnung vor, sondern verweist allein auf seine fehlende Zahlungsfähigkeit.

Zur Vermeidung weiterer Verzögerungen des Beitreibungsverfahrens legt das Gericht die Eingabe des Kostenschuldners aber gleichwohl als Erinnerung aus.

2. Die Entscheidung über die Erinnerung ergeht gem. § 1 Abs. 5, § 66 Abs. 6 S. 1 GKG durch den Einzelrichter.

3. Der Zulässigkeit der Erinnerung steht nicht entgegen, dass sie durch den nicht postulationsfähigen Kostenschuldner persönlich eingelegt worden ist. Auch im zeitlichen Anwendungsbereich der Neufassung des § 62 Abs. 4 FGO sind Erinnerungsverfahren von dem für Verfahren vor dem BFH grundsätzlich angeordneten Vertretungszwang – ebenso wie nach § 62a FGO in der bis zum 30.6.2008 geltenden Fassung – ausgenommen (Senatsbeschl. v. 17.11.2011 – X E 1/11, BFH/NV 2012, 428, u. v. 21.6.2012 – X E 3/12, BFH/NV 2012, 1618).

4. Gegen den Inhalt der Kostenrechnung als solche erhebt der Kostenschuldner keine Einwendungen. Auch eine Prüfung von Amts wegen führt zu dem Ergebnis, dass die Kostenrechnung dem Grunde und der Höhe nach den gesetzlichen Vorschriften entspricht.

Die Höhe der Gerichtsgebühren richtet sich nach dem Streitwert (§ 3 Abs. 1, § 34 Abs. 1 GKG) sowie den in Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG aufgeführten Gebührentatbeständen. Diese gesetzlichen Vorschriften sind von der Kostenstelle zutreffend angewendet worden. Auch gegen die Bemessung des Streitwerts bestehen keine Bedenken.

5. Der Umstand, dass die festgesetzten Gerichtskosten (70,00 EUR) den angenommenen Streitwert (21,00 EUR) um nahezu das Dreieinhalbfache übersteigen, führt jedenfalls unter den besonderen Verhältnissen des Streitfalls nicht dazu, dass aus verfassungsrechtlichen Gründen eine Korrektur der Kostenrechnung vorzunehmen wäre.

a) Allerdings hat das BVerfG wiederholt entschieden, dass Vorschr...

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