Das Urteil des BGH zeigt auf, dass so manchem Gericht nicht bekannt ist, unter welchen Voraussetzungen dem späteren Prozessbevollmächtigten des Klägers für die vorgerichtliche Tätigkeit eine Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV anfällt. Die für den Anfall der Geschäftsgebühr maßgeblichen Umstände hat der Kläger in dem Schadensersatzprozess vorzutragen und im Streitfall zu beweisen. Ob dies hier die Klägerin getan hat, ist nicht bekannt. Jedenfalls hat das LG Wuppertal diese für den Anfall der zuerkannten Geschäftsgebühr maßgeblichen Umstände in seinem Urteil nicht erwähnt. Diese Umstände sollen noch einmal zusammengefasst werden.

1. Nach außen erkennbare Tätigkeit nicht maßgeblich

Für die im Fall des BGH entscheidungserhebliche Frage, ob den Prozessbevollmächtigten der Klägerin für dessen vorprozessuale Tätigkeit eine Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV angefallen ist, kommt es nicht auf die Anwaltstätigkeit an. Die nach außen hin erkennbare Tätigkeit des Anwalts, hier also die vorprozessuale Zahlungsaufforderung v. 26.7.2018, lässt nämlich nicht darauf schließen, ob dem Rechtsanwalt ein Vertretungsauftrag erteilt worden ist, was zum Anfall der Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV führt, oder ob der Anwalt diese Tätigkeit im Rahmen des ihm bereits erteilten (unbedingten) Klageauftrags ausgeübt hat. Im letzteren Fall würde die Zahlungsaufforderung eine zum Rechtszug gehörende Vorbereitungshandlung nach § 19 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 RVG darstellen und mit der später für die Prozessvertretung angefallenen Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV abgegolten sein.

2. Art und Umfang des Auftrags

Wie diese in beiden Fällen nach außen hin identische Tätigkeit des Rechtsanwalts der Klägerin – nämlich die vorprozessuale Zahlungsaufforderung v. 26.7.2018 – gebührenrechtlich einzuordnen ist, richtet sich – worauf der BGH zutreffend hingewiesen hat – nach dem den Anwälten im konkreten Fall erteilten Auftrag (so bereits BGH BGHZ 48, 334; BGH NJW 1968, 2334 jeweils zum Anfall der Geschäftsgebühr nach § 118 BRAGO; zuletzt BGH AGS 2022, 16 [Hansens] = zfs 2021, 522 m. Anm. Hansens). Dabei kann ein die Geschäftsgebühr auslösender Vertretungsauftrag auf folgende Weise erteilt werden.

a) Vertretungsauftrag

Entweder erteilt der Mandant seinem Rechtsanwalt nur den Auftrag, den Gegner durch außergerichtliche Bemühungen zur Zahlung zu veranlassen. Dann löst das Betreiben des Geschäfts (s. Vorbem. 2.3 Abs. 3 VV) die Geschäftsgebühr Nr. 2300 VV aus. Die Vorschrift des § 19 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 RVG, wonach die Vorbereitung der Klage und damit auch ein vorprozessuales Aufforderungsschreiben zum Rechtszug gehört und daher durch die Verfahrensgebühr Nr. 3100 VV abgegolten wird, greift in einem solchen Fall nicht ein. In dieser Fallgestaltung ist dem Anwalt jedenfalls zum Zeitpunkt der Zahlungsaufforderung (noch) kein die Verfahrensgebühr auslösender Prozessauftrag erteilt worden.

b) Vertretungsauftrag und bedingter Prozessauftrag

Oder der Mandant erteilt seinem Rechtsanwalt von vornherein zwei Aufträge, nämlich einen Auftrag zur außergerichtlichen Vertretung und einen aufschiebend bedingten Prozessauftrag, dessen Bedingung erst eintritt, wenn die vorgerichtliche Tätigkeit des Anwalts nicht zu dem gewünschten Erfolg führt. Auch in diesem Fall kommt der vorerwähnte § 19 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 RVG nicht zur Anwendung. Dem Anwalt ist zwar zum Zeitpunkt des Aufforderungsschreibens auch ein Prozessauftrag erteilt worden. Dieser stand jedoch unter der Bedingung (s. § 158 Abs. 1 BGB), dass die vorgerichtlichen Bemühungen des Rechtsanwalts keinen Erfolg gehabt haben. Dies stellt sich jedoch erst später und damit zu einem Zeitpunkt heraus, zu dem dem Rechtsanwalt für das Betreiben des Geschäfts, also u.a. für die Entgegennahme der Informationen des Mandanten, für dessen Beratung und für die Fertigung des Aufforderungsschreibens an den Gegner, bereits die Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV angefallen ist.

3. Vollmacht ist nicht entscheidend

Der BGH hat sich hier nicht mit der dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin erteilten Vollmacht oder den Vollmachten befasst. Das war richtig. Für die Klärung der Frage, ob dem Rechtsanwalt eine Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV angefallen ist, kommt es nämlich in aller Regel hierauf nicht an. Der Inhalt der Vollmacht ist allenfalls ein Indiz dafür, dass dieser auch ein entsprechender Auftrag zugrunde liegt. Diese Indizwirkung kann jedoch durch entsprechenden Sachvortrag des Klägers erschüttert werden. Auch wenn seinem Prozessbevollmächtigten von Anfang an sowohl eine Vollmacht zur außergerichtlichen Vertretung als auch eine (weitere) Prozessvollmacht erteilt worden sein sollte, könnte er vortragen, er habe das Mandat ausdrücklich zunächst auf die außergerichtliche Tätigkeit beschränkt oder die Prozessvollmacht sei nur unter der Bedingung des Scheiterns des vorgerichtlichen Vertretungsmandats erteilt worden. Im Streitfall hat der Kläger dies zu beweisen, weil der Vortrag zu den den Anspruch auf die geltend gemachte Geschäftsgebühr begründenden Tatsachen g...

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