1. Grundsätze

Die allgemeine Vergütung des Verteidigers und die Vergütung im vorbereitenden Verfahren richte sich – so das OLG – nach Nrn. 4100 bis 4105 VV. Ausgangspunkt bilde dabei stets die in Nr. 4100 VV geregelte Grundgebühr. Gem. Anm. 1 zu Nr. 4100 VV erhalte der Rechtsanwalt eine Grundgebühr für die erstmalige Einarbeitung in den Rechtsfall. Der Rechtsfall werde dabei bestimmt vom strafrechtlichen Vorwurf, der dem Auftraggeber gemacht werde, und wie er von den Strafverfolgungsbehörden verfahrensmäßig behandelt werde. Grds. sei jedes von den Strafverfolgungsbehörden betriebene Ermittlungsverfahren ein eigenständiger Rechtsfall i.S.v. Nr. 4100 VV, solange die Verfahren nicht miteinander verbunden sind (KG StRR 2011, 359; LG Braunschweig StraFo 2010, 513 = RVGreport 2010, 422 = RVGprofessionell 2010, 214 = StRR 2011, 39). Eine spätere Verfahrensverbindung habe auf bis zu diesem Zeitpunkt bereits entstandene Gebühren keinen Einfluss (LG Braunschweig, a.a.O.; Gerold/Schmidt/Burhoff, RVG, 25. Aufl., 2021, Einl. VV Teil 4 Rn 23 m.w.N.).

2. Konkreter Fall

a) Nach diesen Grundsätzen bildeten nach Auffassung des OLG die 21 der Beschwerde zugrunde liegenden Verfahren bis zu ihrer Verbindung zu anderen Verfahren jeweils eigenständige Rechtsfälle. Grundlage seien jeweils einzelne Straftaten des Angeklagten gewesen. Die Staatsanwaltschaft Verden habe jedes einzelne Verfahren nach Übernahme separat in ihr Verfahrensregister eingetragen und ein eigenes Aktenzeichen hierfür vergeben. Die Akteneinsicht sei in jedem der einzelnen Verfahrensakten individuell durch die zuständige Dezernentin bzw. den zuständigen Dezernenten der Staatsanwaltschaft verfügt worden, entweder, nachdem der Verteidiger unter Nennung des zuvor individuell vergebenen Aktenzeichens Akteneinsicht begehrt hatte oder noch vor einer Legitimation durch den Verteidiger durch die Staatsanwaltschaft von Amts wegen. Die Verbindung der Verfahren sei in allen Fällen erst zu einem späteren Zeitpunkt, d.h. in allen 21 Fällen, als die Grundgebühr bereits entstanden war, erfolgt. Die entsprechende Eintragungspraxis und Akteneinsichtsgewährung habe die Staatsanwaltschaft auch noch beibehalten, als absehbar gewesen sei, dass es sich um eine Serie gleichgelagerter Taten des Angeklagten gehandelt habe, die letztendlich einer einheitlichen Verhandlung beim AG zugeführt werden sollte. Sie hätte es in der Hand gehabt, die übernommenen Verfahren ohne Vergabe neuer Aktenzeichen entweder bereits zu einem vorhandenen Verfahren zu nehmen oder sie vor Einsichtsgewährung an den Verteidiger zu verbinden, was indes vorliegend gerade nicht erfolgt sei.

Das anwaltliche Vergütungsrecht biete – anders als das LG meine – dagegen keinen Raum für eine abweichende Beurteilung aufgrund einer "Gesamtschau" unter Berücksichtigung des Schwerpunktes der anwaltlichen Tätigkeit. Dies folge schon aus dem Umstand, dass sich die gesetzliche Rechtsanwaltsvergütung nicht am verfahrensmäßigen Aufwand für den Rechtsanwalt richte, sondern seine wirtschaftlichen Belange durch Pauschalgebühren im Sinne einer Mischkalkulation sichergestellt werden sollen (Stollenwerk, in: Schneider/Volpert/Fölsch, KostR, 3. Aufl., 2021, VV Vorbem. 4 Rn 6). Insofern sei es unerheblich, in welchem Verfahrensstadium der Schwerpunkt der anwaltlichen Tätigkeit gelegen habe. Denn spiegelbildlich zum Anspruch auf die vermeintlich nicht aufwandsgerecht hohe Vergütung jedes einzelnen, später verbundenen Rechtsfalles erhalte der Verteidiger nach der Verbindung nur noch eine einzelne Verfahrensgebühr, unabhängig davon, ob etwa die Vielzahl der Fälle oder besondere rechtliche Schwierigkeiten bei mehreren einzelnen Tatvorwürfen die Bearbeitung durch ihn im späteren Verfahrensstadium gerade besonders aufwändig gemacht haben.

b) Entsprechend der eindeutigen und mehrfach wiederholten Beschlüsse des AG zur Erstreckung der gebührenrechtlichen Wirkung der Pflichtverteidigerbeiordnung bestehe der Vergütungsanspruch gegen die Landeskasse gem. § 48 Abs. 6 S. 3 RVG auch auf die in Ermittlungsverfahren der späteren Fallakten entfaltete Tätigkeit des Verteidigers und die hierfür entstandenen Gebühren. Unschädlich sei auch, dass dieser zum Zeitpunkt seines Tätigwerdens in den später hinzuverbundenen Verfahren zum Teil noch nicht als Pflichtverteidiger im führenden Verfahren bestellt gewesen sei (OLG Celle AGS 2019, 554 = StraFo 2019, 526 = RVGreport 2020, 93). Maßgeblich für die mit der Erstreckung einsetzenden Rückwirkung sei entgegen der Auffassung von AG und LG allein das zivilrechtliche Entstehen des jeweiligen Vergütungsanspruches. Dieses richte sich nach dem (erstmaligen) Tätigwerden des Rechtsanwalts im jeweiligen Ermittlungsverfahren, soweit dies vor der erstmaligen Verbindung des Verfahrens erfolgt. Ob die Verfahren in der Folge vor Anklageerhebung durch die Staatsanwaltschaft oder erst danach verbunden werden, sei unerheblich (OLG Jena Rpfleger 2004, 313 noch zum Vergütungsrecht unter Geltung der BRAGO; AG Tiergarten AGS 2010, 133 = RVGprofe...

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