Es kann im vorliegenden Fall keine Anrechnung der vorgerichtlichen Geschäftsgebühr stattfinden, da eine Ausnahmekonstellation gem. § 15a Abs. 2 RVG entgegen der Auffassung des Beklagten nicht gegeben ist. Festsetzungsfähig ist daher die volle Verfahrensgebühr – wie sie vom Klägervertreter geltend gemacht wurde.

Der angegriffene Kostenfestsetzungsbeschluss, in dem die Anrechnung der Geschäftsgebühr unterblieben ist, hält damit der rechtlichen Nachprüfung stand:

1. Die Anwendung des am 5.8.2009 in Kraft getretenen § 15a RVG bei der Anrechnung der vorgerichtlichen Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV auf die gerichtliche Verfahrensgebühr (Nr. 3100 VV) gem. Vorbem. 3 Abs. 4 VV ist nach der Rspr. des Senats (OLG Stuttgart, Senat – rechtskräftig –, AGS 2009, 371; ebenso u.a.: OLG Koblenz AGS 2009, 420; OLG Köln AGS 2009, 512; OLG München, Beschl. v. 13.10.2009–11 W 2244/09; BGH, 2. Zivilsenat, NJW 2009, 3101; BGH, 12. Zivilsenat, AGS 2010, 54) auf noch nicht abschließend entschiedene "Altfälle" – wie die vorliegenden – auszudehnen.

Danach kommt aber eine Reduzierung der geltend gemachten und von der Rechtspflegerin berücksichtigten 1,3-Verfahrensgebühr infolge Anrechnung der vorgerichtlichen Geschäftsgebühr auf 0,65 nicht in Betracht.

Nach § 15a Abs. 1 RVG wirkt sich die Anrechnungsvorschrift grundsätzlich im Verhältnis zu

Dritten, damit insbesondere im Kostenfestsetzungsverfahren, nicht aus. In diesem musste und muss eine Verfahrensgebühr, von den in § 15a Abs. 2 RVG geregelten Ausnahmen abgesehen, stets auch dann in der geltend gemachten Höhe festgesetzt werden, wenn für den Bevollmächtigten des Erstattungsberechtigten eine Geschäftsgebühr entstanden ist (BGH NJW 2009, 3101; BGH AGS 2010, 54).

2. Ein Ausnahmefall des § 15a Abs. 2 RVG ist nicht gegeben. Danach kann sich ein Dritter auf die Anrechnung nur berufen, soweit er den Anspruch auf eine der beiden Gebühren erfüllt hat, wegen eines dieser Ansprüche gegen ihn ein Vollstreckungstitel besteht oder beide Gebühren in demselben Verfahren gegen ihn geltend gemacht werden.

Keine der in § 15a Abs. 2 RVG genannten Ausnahmekonstellationen ist im vorliegenden Fall gegeben.

Von einer Zahlung durch den Beklagten entsprechend Nr. 1 und 2 des Vergleichs kann nicht ausgegangen werden, weil sich die dortigen Regelungen ersichtlich auf die Klaganträge Nr. 1 und 2 (materieller und immaterieller Schaden des Klägers) beziehen, nicht aber auf Nr. 4 (vorgerichtliche Geschäftsgebühr als Verzugsschaden).

Eine Geltendmachung der Geschäfts- und Verfahrensgebühr in demselben Verfahren liegt ebenfalls nicht vor. Denn das Hauptsacheverfahren und das sich daran anschließende Kostenfestsetzungsverfahren sind i.S.d. § 15a Abs. 2, Alt. 3 RVG nicht "dasselbe Verfahren" – vgl. Beschl. d. Senats v. 4.12.2009–8 W 439/09, AGS 2010, 25, m. w. Nachw., auf den im Einzelnen Bezug genommen wird.

Die vorgerichtliche Geschäftsgebühr wurde aber – entgegen der Auffassung des Beklagten, auf die er sein Rechtsmittel stützt – auch nicht im Prozessvergleich tituliert.

Die Zahlungsverpflichtung gem. Nr. 1 bezieht sich offensichtlich nur auf den mit dem Klageantrag Nr. 1 geforderten materiellen Schadensersatz. Nr. 2 und 3 sind unzweifelhaft den Klageanträgen Nr. 2 und 3 zugeordnet. In Nr. 4 erfolgte keine Titulierung der mit dem Klageantrag Nr. 4 beanspruchten außergerichtlichen Geschäftsgebühr, sondern die quotenmäßige Festlegung der Kostenerstattungspflicht der Parteien.

Eine allgemeine Erledigungsklausel enthält der Vergleich nicht, was auch der Feststellung in Nr. 3 widersprechen würde. Allein dadurch unterscheidet sich schon die vorliegende Fallkonstellation von der vom OLG Saarbrücken in dem Beschl. v. 4.1.2010–9 W 338/09 (AGS 2010, 60) zu beurteilenden.

Selbst wenn jedoch durch eine allgemeine Erledigungsklausel in einem Prozessvergleich die als Nebenforderung vom Kläger mit eingeklagte Geschäftsgebühr umfasst wäre, würde durch eine solche Regelung der Anspruch auf Ersatz der Geschäftsgebühr nicht tituliert. Vielmehr könnte dieser im Verhältnis zwischen den Parteien nicht mehr geltend gemacht werden.

§ 15a Abs. 2 RVG setzt jedoch voraus, dass wegen des betreffenden Gebührenanspruches ein Vollstreckungstitel gegen den Dritten besteht, was hier gerade nicht der Fall ist. Denn eine Zahlungspflicht des Beklagten enthält der Vergleich insoweit nicht.

Dem OLG Saarbrücken (AGS 2010, 60) kann nicht gefolgt werden. Die Titulierung der Geschäftsgebühr in einem Vergleich erfordert eine unmissverständliche Regelung, der auch die Höhe der titulierten Gebühr zu entnehmen sein muss. Denn nur dann kann die hälftige Anrechnung auf die Verfahrensgebühr betragsmäßig richtig vorgenommen werden.

Ein vergleichsweiser Verzicht auf die Geschäftsgebühr bedeutet gerade keine Titulierung, und eine Anrechnung verbietet sich unter Berücksichtigung der Intention des § 15a Abs. 1 RVG. Danach kann der Rechtsanwalt, sofern das RVG die Anrechnung einer Gebühr auf eine andere vorsieht, grundsätzlich beide Gebühren fordern, jedoch insgesamt nicht mehr als d...

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