1. Verfahrensrechtliches

Die Entscheidung des LSG München gibt Anlass, auf einige Verfahrensmängel hinzuweisen. Ausweislich der Beschlussgründe hat das SG Landshut mit Beschl. v. 28.4.2020 die Erinnerung des Vertreters der Staatskasse, die gegen die Festsetzung der Dokumentenpauschale durch den UdG gerichtet war, zurückgewiesen und die aus der Staatskasse zu zahlenden Fotokopiekosten (erneut) auf 35,11 EUR festgesetzt. Dies stößt bei mir auf Unverständnis, weil dadurch der Vertreter der Staatskasse noch schlechter gestellt wurde, als hätte er seine Erinnerung nicht eingelegt. Denn das SG Landshut hat die Dokumentenpauschale einschließlich Umsatzsteuer i.H.v. 35,11 EUR damit zugunsten des beigeordneten Rechtsanwalts ein zweites Mal festgesetzt.

Ein weiterer Verfahrensfehler ist dem LSG München unterlaufen. Zutreffend führt das Gericht aus, gem. § 56 Abs. 2 S. 1 i.V.m. § 33 Abs. 8 S. 1 RVG sei der Einzelrichter für die Entscheidung der Beschwerde zuständig. Hat die Sache jedoch grundsätzliche Bedeutung, habe der Senat gem. § 56 Abs. 2 S. 1 i.V.m. § 33 Abs. 8 S. 2 RVG als Gesamtspruchkörper zu entscheiden. Dies ist so nicht richtig. Bei grundsätzlicher Bedeutung hat der Einzelrichter das Verfahren dem Senat durch Beschluss zu übertragen. Erst dann ist die Zuständigkeit des Gesamtspruchkörpers gegeben. Dass vorliegend der Einzelrichter des Senats die Übertragung beschlossen hätte, lässt sich der Entscheidung nicht entnehmen. In vergleichbaren Fällen hat der BGH die Entscheidung des Spruchkörpers aufgehoben, weil nicht der gesetzliche Richter entschieden habe, wenn die Übertragung durch den Einzelrichter auf den Gesamtspruchkörper fehlte.

2. Erstreckung der PKH-Bewilligung

In der Sache ist die Entscheidung des LSG München m.E. zutreffend. Nach den Motiven zum 2. KostRMoG ist § 48 Abs. 4 S. 2 RVG eingefügt worden, weil ohne die dort bestimmte Erstreckung für den Rechtsuchenden eine Lücke für die kostenlose Inanspruchnahme eines Rechtsanwalts bestünde. Diese solle dadurch geschlossen werden, dass auch die Tätigkeit im PKH-Bewilligungsverfahren von der bewilligten PKH erfasst werde. Für die Bemessung der Betragsrahmengebühr soll neben der in dem nach Bewilligung der PKH ausgeübten Tätigkeit in dem Klageverfahren auch die Tätigkeit des Anwalts nach Stellung des Antrags auf Bewilligung von PKH in die Bemessung der Gebühr einbezogen werden (so auch Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, RVG, 26. Aufl., 2023, § 48 Rn 110 ff.; AnwK-RVG/Fölsch/N. Schneider/Volpert, 9. Aufl., 2021, § 48 Rn 63 ff.).

3. Praktische Auswirkungen für den Rechtsanwalt

a) Verfahrensweise nach Zahlung des Vorschusses

Vorliegend hat sich der beigeordnete Rechtsanwalt die Verfahrensgebühr nach Nr. 3102 VV, die Postentgeltpauschale nach Nr. 7002 VV nebst Umsatzsteuer lediglich als Vorschuss gem. § 47 RVG festsetzen lassen. Nachdem der Rechtsstreit beendet und die Vergütung damit gem. § 8 Abs. 1 RVG fällig geworden war, hat der Rechtsanwalt keinen Festsetzungsantrag hinsichtlich dieser Positionen gestellt. Ein solches Vorgehen wäre jedoch sachgerecht gewesen, da die (endgültige) Festsetzung der Vergütung, also auch der bereits vorschussweise gezahlten Verfahrensgebühr, der Dokumentenpauschale nebst anteiliger Umsatzsteuer einen Rechtsgrund für das Behaltendürfen des Vorschusses darstellt. Natürlich hätte der Rechtsanwalt in seinem Festsetzungsantrag gem. § 55 Abs. 5 S. 2 RVG angeben müssen, dass er einen Betrag i.H.v. 380,80 EUR bereits vorschussweise aus der Staatskasse erhalten habe. Der UdG hätte den Gesamtbetrag der dem Anwalt aus der Staatskasse zustehenden Gebühren und Auslagen festgesetzt und hiervon den Vorschuss abgezogen. Dies ist nicht lediglich eine bloße Förmelei, vielmehr führt die nochmalige und endgültige Festsetzung unter Anrechnung des Vorschusses dazu, dass endgültig feststeht, welche Vergütung dem Rechtsanwalts aus der Staatskasse zusteht.

b) Verfahrensweise bei PKH-Bewilligung und -Beiordnung

Der im Rahmen der PKH oder VKH beigeordnete Rechtsanwalt sollte darauf achten, Tätigkeiten für den Mandanten erst ab Wirksamkeit der Beiordnung zu entfalten. Anderenfalls erhält er aus der Staatskasse die außerhalb des Bewilligungszeitraums ausgelösten Gebühren und Auslagen nicht ersetzt. Eine Ausnahme gilt nach § 48 Abs. 4 RVG nur in sozialgerichtlichen Verfahren. Auch dort führt die in § 48 Abs. 4 S. 2 RVG angeordnete Erstreckung jedoch nur dazu, dass für die Bemessung der Höhe der Verfahrensgebühr nicht nur die ab Wirksamkeit der Bewilligung und Beiordnung entfalteten Tätigkeiten, sondern auch seine Tätigkeiten im Verfahren der PKH einschließlich der vorbereitenden Tätigkeit berücksichtigt werden. Damit steht dem Rechtsanwalt im Regelfall aus der Staatskasse ein Anspruch auf Zahlung einer höheren Verfahrensgebühr zu als ohne die Regelung in § 48 Abs. 4 S. 2 RVG.

Diese Erstreckung führt jedoch nicht dazu, worauf das LSG München zutreffend hingewiesen hat, dass dem Rechtsanwalt eine Gebühr aus der Staatskasse zusteht, die nur vor der Beiordnung entstanden ist. ...

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