Auf folgende Punkte ist hinzuweisen:

1. Geplatzter Termin

a) Der erste Kommentar nach dem Lesen der Ausführungen des OLG zum Anfall der Terminsgebühr nach Vorbem. 4 Abs. 3 S. 2 VV ist sicherlich bei vielen Lesern: Endlich. Ja, richtig. Endlich schlägt ein OLG ein Loch in die Mauer, die in der Rspr. der anderen OLG um die Vorbem. 4 Abs. 3 S. 2 VV gebaut worden ist. Denn bislang haben die OLG in Fällen wie diesen oder in vergleichbaren Konstellationen durch ein Festkleben an der Formulierung "erscheint" in der Vorbem. 4 Abs. 3 S. 2 VV eine Mauer errichtet, die schier unüberwindbar erschien. Das hat dazu geführt, dass der Anwendungsbereich der Vorbem. 4 Abs. 3 S. 2 VV quasi gegen Null tendiert, bislang ist auch nur die vom OLG Brandenburg angeführte Entscheidung des LG Magdeburg bekannt geworden, die das unter Hinweis auf den Sinn und Zweck der Ausnahmeregelung zutreffend anders gesehen hat. Dem schließt sich das OLG ebenfalls unter Betonung des Sinns der Regelung an. Das ist zutreffend. Warum und wieso, liegt m.E. auf der Hand. Ich erspare mir, die Gründe, auf die ich in den Anmerkungen zu den Entscheidungen schon hingewiesen habe, hier noch einmal zu wiederholen (vgl. dazu auch Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl., 2021, Vorbem. 4 VV Rn 95 ff.). Es ist zu hoffen, dass sich diese – richtige – Sicht nun endlich durchsetzt und die anderen OLG ihre abweichende Rspr. aufgeben.

b) Für die Anwendung der Entscheidung bei der Frage, ob ggf. die Terminsgebühr nach Vorbem. 4 Abs. 3 S. 2 VV entstanden ist, gilt: Der Verteidiger muss nicht im Gerichtssaal erschienen sein. Ausreichend ist, dass er sich bereits auf dem Weg zum Gericht befindet oder sogar schon am Gerichtsort – wie hier – eingetroffen ist und ihn dann erst die Nachricht von der Terminsaufhebung erreicht. Das ist nicht mehr rechtzeitig und führt zum Entstehen der jeweiligen Terminsgebühr. Von daher erschließt sich der Hinweis des OLG auf das OLG München, Beschl. v. 4.8.2014 (6 St (K) 22/14, AGS 2015, 70 = RVGreport 2015, 67 = StRR 2014, 451) nicht. Denn in dem zugrundeliegenden Verfahren – es war das NSU-Verfahren – war der Verteidiger zu mehreren nacheinander terminierten Hauptverhandlungsterminen von Köln aus angereist und hatte dann erst in München erfahren, dass einer von den Terminen kurzfristig abgesetzt worden war. Das war auf der Grundlage der (neuen) Rspr. des OLG Brandenburg an sich nicht mehr "rechtzeitig" und hätte zum Anfall der Gebühr führen müssen. Das sieht das OLG Bandenburg aber offenbar (doch) anders, wofür es allerdings eine nachvollziehbare Begründung nicht gibt. Das ist aber nur ein kleiner Schönheitsfehler an der ansonsten insoweit zutreffenden Entscheidung.

2. Verfahrensgebühr Nr. 4143 VV

Größer ist m.E. der Fehler, den das OLG im Hinblick auf die Verfahrensgebühr Nr. 4143 VV zu Lasten der Verteidigerin gemacht hat. Zutreffend – zumindest weitgehend – ist allerdings das, was das OLG grds. zur Erstreckung der Pflichtverteidigerbestellung auf die Nr. 4143 VV ausführt. Die insoweit in der Vergangenheit geführte Diskussion sollte durch den BGH, Beschl. v. 27.7.2021 (6 StR 307/21, NJW 2021, 2901 f. = AGS 2021, 431) erledigt sein (so auch noch BGH, Beschl. v. 30.6.2022 – 1 StR 277/21, NStZ-RR 2022, 316; OLG Brandenburg, Beschl. v. 24.1.2022 – 1 Ws 108/21 [S], AGS 2022, 211). Die Pflichtverteidigerbestellung erfasst auch die Tätigkeiten, die zum Anfall der Verfahrensgebühr Nr. 4143 VV führen. Dabei ist allerdings der vom OLG auch noch angeführte Beschl. des BGH v. 30.3.2001 (3 StR 25/01) ohne Bedeutung, da es in ihm nicht um eine Pflichtverteidigerbestellung ging, sondern um einen Beistand für den Nebenkläger, womit wir es hier nicht zu tun haben.

Nur: Auf diese Frage kam es hier m.E. überhaupt nicht an. Denn insoweit geht es um die Frage der Festsetzung/Erstattung der gesetzlichen Gebühr Nr. 4143 VV für die Pflichtverteidigerin. Die Frage ist aber strikt zu trennen von der Frage, ob diese Gebühr für die Pflichtverteidigerin durch den vom OLG dargestellten Verfahrensablauf entstanden ist. Und das ist m.E. – anders als das OLG es offenbar meint – der Fall. Denn das Entstehen der zusätzlichen Verfahrensgebühr Nr. 4143 VV hängt nicht von einem förmlichen Antrag nach § 404 Abs. 1 StPO und/oder einem förmlichen Adhäsionsverfahren ab, vielmehr entsteht entsprechend der Vorbem. 4 VV die Verfahrensgebühr nach Nr. 4143 VV mit der ersten Tätigkeit des Rechtsanwalts, sofern dieser beauftragt ist, im Strafverfahren hinsichtlich des vermögensrechtlichen Anspruchs tätig zu werden, wobei es unerheblich ist, ob es um die Durchsetzung oder die Abwehr eines Anspruchs geht (dazu OLG Jena AGS 2009, 587 m. Anm. N. Schneider = RVGreport 2010, 106 = StRR 2010, 114 = NJW 2010, 455; OLG Nürnberg AGS 2014, 18 = RVGreport 2014, 72 = StraFo 2014, 37 = NStZ-RR 2014, 64; LG Braunschweig, Beschl. v. 8.3.2012 – 5 Qs 39/12, RVGreport 2012, 299; LG Kiel, Beschl. v. 26.6.2020 – 10 Qs 34/20, RVGreport 2020, 428). Dabei kann es m.E. auch nicht darauf ankommen, ...

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