Potenzielle Folgesachen sind außergerichtlich jeweils eigene Angelegenheiten

Hat der Anwalt vorgerichtlich eine Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV verdient, so wird diese hälftig, höchstens zu 0,75, auf die Verfahrensgebühr eines nachfolgenden gerichtlichen Verfahrens angerechnet (Vorbem. 3 Abs. 4 VV). Das gilt auch dann, wenn es sich bei dem nachfolgenden gerichtlichen Verfahren um ein Verbundverfahren handelt. Ein besonderes Anrechnungsproblem ergibt sich hier insoweit, als mehrere außergerichtliche Geschäftsgebühren aus verschiedenen einzelnen außergerichtlichen Angelegenheiten auf eine einheitliche Verfahrensgebühr des Verbundverfahrens anzurechnen sein können. Während außergerichtlich die potenziellen Folgesachen i.d.R. jeweils eigene Angelegenheiten i.S.d. § 15 RVG darstellen, gilt im Verbund § 16 Nr. 4 RVG, wonach Ehe- und Folgesachen zu einer Angelegenheit i.S.d. § 15 RVG zusammengefasst werden.

Jede Geschäftsgebühr ist anzurechnen

Kommt es im Verbundverfahren zu einer Zusammenfassung solcher Gegenstände, die außergerichtlich noch jeweils als eigene Angelegenheiten abzurechnen waren, so ist jede Geschäftsgebühr hälftig, höchstens zu 0,75, anzurechnen (Vorbem. 3 Abs. 4 VV). Daran ist nach dem eindeutigen Wortlaut des Gesetzes nicht vorbeizukommen.

Anrechnungsbetrag ist analog § 15 Abs. 3 RVG zu begrenzen

In analoger Anwendung des § 15 Abs. 3 RVG darf jedoch nicht mehr angerechnet werden als ein Betrag nach dem höchsten hälftigen Satz aus dem Gesamtwert der einzelnen Angelegenheiten (OLG Koblenz AGS 2009, 167 zum vergleichbaren Fall bei vorgerichtlicher Vertretung mehrerer Auftraggeber und einheitlichem Rechtsstreit; N. Schneider, Gebühren in Familiensachen Rn 2285 ff.).

 
Praxis-Beispiel

Der Anwalt war außergerichtlich jeweils gesondert tätig hinsichtlich des Zugewinns (Wert: 20.000,00 EUR), der Auseinandersetzung des Haushalts (Wert: 4.000,00 EUR) sowie Kindesunterhalt (Wert: 3.600,00 EUR). Es kommt hiernach zum Scheidungsverfahren (Werte: Ehesache 6.000,00 EUR; Versorgungsausgleich 1.200,00 EUR); dort werden Zugewinn, Kindesunterhalt und Haushalt als Folgesachen (§ 137 Abs. 2 FamFG) anhängig gemacht.

Außergerichtlich sind Zugewinn, Kindesunterhalt und Haushalt jeweils gesondert abzurechnen, wobei für den Zugewinn von einem Gebührensatz von 1,0 ausgegangen werden soll, für den Haushalt von 1,5 und für den Unterhalt von 1,3. Abzurechnen ist danach wie folgt:

I. Zugewinn (Wert: 20.000,00 EUR)

 
1. 1,0-Geschäftsgebühr, Nr. 2300 VV RVG   646,00 EUR
2. Postengeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG   20,00 EUR
  Zwischensumme 666,00 EUR  
3. 19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV RVG   126,54 EUR
Gesamt 792,54 EUR

II. Haushalt (Wert: 4.000,00 EUR)

 
1. 1,5-Geschäftsgebühr, Nr. 2300 VV RVG   367,50 EUR
2. Postengeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG   20,00 EUR
  Zwischensumme 387,50 EUR  
3. 19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV RVG   73,63 EUR
Gesamt 461,13 EUR

III. Unterhalt (Wert: 3.600,00 EUR)

 
1. 1,3-Geschäftsgebühr, Nr. 2300 VV RVG   318,50 EUR
2. Postengeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG   20,00 EUR
  Zwischensumme 338,50 EUR  
3. 19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV RVG   64,32 EUR
Gesamt 402,82 EUR

Die vorgerichtlich entstandenen Geschäftsgebühren werden jetzt jeweils hälftig, höchstens zu 0,75, angerechnet, jedoch nicht mehr als ein Betrag nach dem höchsten hälftigen Gebührensatz (also 0,75) aus dem Gesamtwert von 27.600,00 EUR:

IV. Verbundverfahren (Wert: 34.800,00 EUR)

 
1. 1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV RVG   1.079,00 EUR
2. gem. Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG anzurechnen    
  - 0,5 aus 20.000,00 EUR -323,00 EUR  
  - 0,75 aus 4.000,00 EUR -183,75 EUR  
  - 0,65 aus 3.600,00 EUR -159,25 EUR  
  analog § 15 Abs. 3 RVG nicht mehr als 0,75 aus 27.600,00 EUR   -568,50 EUR
3. 1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV RVG   996,00 EUR
4. Postengeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG   20,00 EUR
  Zwischensumme 1.526,50 EUR  
5. 19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV RVG   290,04 EUR
Gesamt 1.816,54 EUR

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