Das Wichtigste in Kürze:

1. Ein SV sollte nach Möglichkeit nur dann abgelehnt werden, wenn das Verhalten des SV begründeten Anlass zu der Annahme gibt, an seiner notwendigen Neutralität zu zweifeln.
2. Ein SV kann in denselben Fällen abgelehnt werden, die auch beim Richter zur Ablehnung berechtigen.
3. Bei den zwingenden Ablehnungsgründen handelt es sich insbesondere um die Gründe, aus denen ein Richter nach den §§ 22, 23 von der Mitwirkung im Verfahren ausgeschlossen ist.
4. Als sonstige (Ablehnungs-)Gründe kommen die Gründe in Betracht, die bei einem Richter die Besorgnis der Befangenheit rechtfertigen.
5. Das Ablehnungsgesuch ist erst zulässig, wenn der SV ernannt ist, es kann auch noch nach Erstellung des Gutachtens gestellt werden.
6. Ein vor der HV abgelehntes Gesuch kann mit denselben Gründen wiederholt werden. Nach begründeter Ablehnung scheidet der SV aus dem Verfahren aus, er kann aber in bestimmtem Umfang als Zeuge gehört werden.
7. Neben der Ablehnung kann auch ein sog. Entbindungsantrag nach § 76 in Betracht kommen.
 

Rdn 16

 

Literaturhinweise:

Ahlf, Zur Ablehnung des Vertreters von Behördengutachten durch den Beschuldigten im Strafverfahren, MDR 1978, 981

Bleyl, Wissenschaftliche Publikationen und Befangenheit vor Gericht, MedR 1994, 106

Dästner, Zur Anwendbarkeit des § 74 StPO aus Polizeibedienstete als Sachverständige, MDR 1979, 545

Dose, Der Sitzungsvertreter und der Wirtschaftsreferent der Staatsanwaltschaft als Zeuge in der Hauptverhandlung, NJW 1978, 349

Dostmann, Die Rechtsstellung des Kriminalbeamten (beim Landeskriminalamt) als Sachverständiger im Strafverfahren unter besonderer Berücksichtigung dienstrechtlicher Vorschriften, DVBl. 1974, 153

Eisenberg, Zur Ablehnung des Sachverständigen im Strafverfahren wegen Besorgnis der Befangenheit, NStZ 2006, 368

ders., Keine Glaubhaftigkeitsuntersuchung zeugnisverweigernder, als nicht verstandsreif beurteilter Kinder gegen deren Willen, NStZ 2016, 11

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Foth/Karcher, Überlegungen zur Behandlung des Sachbeweises im Strafverfahren, NStZ 1989, 166

Geppert, Der Sachverständigenbeweis, Jura 1993, 249

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Krause, "Absolute" Befangenheitsgründe beim Sachverständigen, in: Festschrift für Reinhart Maurach, 1972, S. 549

Krekeler, Strafverteidigung mit einem und gegen einen Sachverständigen, StraFo 1996, 5

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Rueber-Unkelbach, Ablehnung von Sachverständigen und Dolmetschern in der Praxis, in: Festschrift zum 70. Geburtstag von Detlef Burhoff, 2020, S. 95

Tondorf, Psychologische und psychiatrische Sachverständige im Strafverfahren, 2. Aufl. 2005 (zitiert: Tondorf, SV, Rn)

Tondorf/Waider, Der Sachverständige, ein "Gehilfe" auch des Strafverteidigers?, StV 1997, 493

Wiegmann, Ablehnung von Mitarbeitern der Strafverfolgungsbehörden als Sachverständige (§ 74 StPO), StV 1996, 570

s.a. die Hinw. bei → Sachverständigenbeweis, Teil S Rdn 2882.

 

Rdn 17

1. Der Verteidiger muss das Verhalten und die Äußerungen eines SV in allen Verfahrensabschnitten sorgfältig darauf prüfen, ob gegen diesen ggf. ein Ablehnungsantrag gestellt werden muss, weil er z.B. die notwendige Neutralität gegenüber dem Angeklagten hat vermissen lassen. Dem ist zwar i.d.R. häufig nur durch einen Ablehnungsantrag beizukommen, aus prozesstaktischen Gründen wird der Verteidiger aber von einem Ablehnungsgesuch nicht unnötig Gebrauch machen (auch Rueber-Unkelbach, a.a.O., S. 95, 119 ff.). Dringt er nämlich mit der Ablehnung nicht durch, muss er mit einer "Verstimmung" des SV und ggf. auch der des Gerichts rechnen, das hinter einem (unbegründeten) Ablehnungsgesuch immer auch den Versuch der Prozessverschleppung vermuten wird. Auch beeinflusst das Gutachten eines abgelehnten SV in einer vom Verteidiger nicht zu kontrollierenden Weise die Überzeugungsbildung des Gerichts (Dahs, Rn 626). Manchmal bleibt aber nur die Ablehnung, um eine objektive Begutachtung des Angeklagten zu erzwingen. Dann sollte der Verteidiger darauf – im Interesse des Angeklagten – auch nicht verzichten.

 

Rdn 18

2. Nach § 74 Abs. 1 S. 1 kann ein SV aus denselben Gründen, die zur Ablehnung eines Richters berechtigen, abgelehnt werden. Ein Ablehnungsgrund folgt nach § 74 Abs. 1 S. 2 jedoch nicht daraus, dass er als Zeuge vernommen worden ist. Hinsichtlich der Befangenheitsgründe ist zu unterscheiden ...

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