Rz. 168

Die Prozesspartei hat einen prozessualen Anspruch gegen den Gegner auf Vorlegung einer Urkunde nach §§ 421 ff. ZPO.

Voraussetzung für die prozessuale Vorlagepflicht ist allerdings das Bestehen eines materiellrechtlichen Anspruchs auf Vorlage der Beweisurkunde. Ein solcher materiellrechtlicher Anspruch auf Urkundenvorlage besteht in den Fällen, in denen der Beweisführer Auskunft und Rechnungslegung oder auch Herausgabe verlangen kann, z.B. § 675 BGB – Herausgabepflicht bei Geschäftsbesorgung, §§ 667, 681 BGB – Herausgabepflicht des Geschäftsführers.

 

Rz. 169

Urkundenvorlage durch Dritte: Nach § 142 ZPO kann das Gericht – ggf. unter Fristsetzung – von Amts wegen die Vorlage von Urkunden nicht nur durch die Parteien, sondern auch durch Dritte anordnen, sofern dem Dritten dies zumutbar ist und er kein Zeugnisverweigerungsrecht hat.[191] Zwangsmittel stehen gegenüber dem Dritten wie gegenüber einem Zeugen zur Verfügung. Diese Vorschrift ist für Erbprozesse von erheblicher Bedeutung:

Bei Erbteilungsklagen ist die Kenntnis über ausgleichungspflichtige Vorempfänge von großer Wichtigkeit (§§ 2050 ff., 1624 BGB). Gleiches gilt für anrechnungs- und/oder ausgleichungspflichtige Vorempfänge bei der Pflichtteilsklage (§§ 2315, 2316 BGB). Urkunden sind generell zuverlässigere Beweismittel als Zeugenaussagen. Deshalb ist es für eine beweispflichtige Partei von Vorteil, wenn ein Dritter schriftliche Unterlagen, bspw. einen Überweisungsbeleg, vorlegen kann. Dritter kann auch der zuständige Mitarbeiter einer Bank sein, die Kontounterlagen wenigstens in der Form von Mikrofilmen besitzt.
Bedeutung kommt der Vorschrift auch in Erbenfeststellungsprozessen in Bezug auf die Vorlage von Schriftstücken zu, die Testamentsqualität haben können, bspw. eines an einen Dritten gerichteten eigenhändig geschriebenen Briefes.
Gleiches gilt für die Patientenkartei eines Arztes in Bezug auf Fragen der Geschäfts- oder Testierfähigkeit, sofern diesem kein Zeugnisverweigerungsrecht zusteht.
Die Vorlage eigenhändig vom Erblasser verfasster Schriftstücke ist entscheidend bei einem Streit über die Formgültigkeit eines privatschriftlichen Testaments (§ 2247 Abs. 1 BGB) für die Erstellung eines grafologischen Gutachtens, das ohne eine Vergleichsschrift nicht auskommt.
 

Rz. 170

§ 30 FamFG enthält Vorschriften über eine förmliche Beweisaufnahme in Form des Strengbeweises. Zunächst kann allerdings das Gericht nach pflichtgemäßem Ermessen entscheiden, ob es die entscheidungserheblichen Tatsachen durch eine förmliche Beweisaufnahme entsprechend der ZPO feststellt. Gemäß § 30 Abs. 2 FamFG hat eine förmliche Beweisaufnahme stattzufinden, wenn es in diesem Gesetz (FamFG) vorgesehen ist.[192] Da § 30 FamFG auf das Beweisrecht der ZPO verweist, hat § 142 ZPO auch Geltung im Erbscheinsverfahren und anderen FG-Verfahren.

 

Rz. 171

Nach § 144 Abs. 1 S. 2 ZPO kann die Herausgabe von Gegenständen nicht nur durch eine Partei, sondern auch durch einen Dritten zum Zwecke der Durchführung einer Beweisaufnahme angeordnet werden. Gegen den Dritten können dieselben Zwangsmaßnahmen angeordnet werden wie gegen einen Zeugen.

 

Rz. 172

Will eine Prozesspartei einen Urkundenbeweis führen und befindet sich die Urkunde im unmittelbaren oder mittelbaren Besitz der herausgabepflichtigen Gegenpartei, so kann das Gericht auf Antrag dem Gegner aufgeben, die Urkunde vorzulegen. Im Erbrechtsprozess kann dies ein Schriftstück sein, das möglicherweise Testamentsqualität hat und bisher nicht abgeliefert wurde – in einem solchen Fall kann allerdings die Ablieferung über das Nachlassgericht erzwungen werden nach §§ 35, 358 FamFG (siehe Rdn 170).

In Betracht kommen auch

ein Schuldschein
eine Quittung über eine lebzeitige Zuwendung
ein privatschriftlicher Vertrag über eine lebzeitige Zuwendung
eine Abschrift eines notariellen Ehevertrags (z.B. bei Begründung der Gütergemeinschaft).
 

Rz. 173

Der Prozessgegner des Beweisführers ist zur Vorlage von Beweisurkunden verpflichtet, wenn

der Beweisführer Vorlegungsantrag stellt, §§ 421, 424 ZPO
der Gegner den unmittelbaren Besitz an der Urkunde einräumt (sonst § 426 ZPO)
ein materiellrechtlicher Anspruch des Beweisführers auf Vorlage besteht und
das Gericht die Vorlage wegen Beweiserheblichkeit nach § 425 ZPO anordnet.

Grundsätzlich ist die betreffende Urkunde dem Prozessgericht vorzulegen, § 355 ZPO; Ausnahme: § 434 ZPO. Folgen der Nichtvorlage: §§ 427, 444 ZPO.

[191] Vgl. ausführlich Frühauf/Kortge, Das Zivilprozessreformgesetz, Beilage NJW 2000 Heft 40.
[192] Vgl. schon Kollhosser, Zur Stellung und zum Begriff der Verfahrensbeteiligten im Erkenntnisverfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit, 1970, § 3 III 1–4, § 5 III, § 6 III, IV.

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