Rz. 122

Gem. der Gemeinsamen Bestimmungen zu Teil A Ziff. 1 S. 2 AVB/Ziff. 28 S. 2 AHB ist auch bei noch nicht festgestellten Ansprüchen die Abtretung des Freistellungsanspruches an den Geschädigten zulässig.[108] Nach § 108 Abs. 2 VVG ist dies nur individualvertraglich abänderbar.

 

Rz. 123

Tritt der Versicherungsnehmer seinen Anspruch auf Freistellung von der Haftpflichtverbindlichkeit an den Geschädigten ab, wandelt sich der Freistellungsanspruch nach wohl h.M.[109] in einen Zahlungsanspruch. Der Dritte kann den Versicherer unmittelbar verklagen. Würde die Abtretung nur zur außergerichtlichen Geltendmachung berechtigen, ergäbe sie keinen Sinn, denn die Haftpflichtversicherer korrespondieren vorprozessual ohnehin mit dem Geschädigten. Zudem muss ein nicht erfüllter, durch Abtretung erlangter Anspruch gerichtlich verfolgbar sein.

 

Rz. 124

Die Abtretung durchbricht das Trennungsprinzip (vgl. Rdn 101 ff.). Der Versicherer kann gegenüber dem Geschädigten sowohl haftungsrechtliche als auch deckungsrechtliche Einwendungen erheben, die ggf. in einem kombinierten Haftpflicht- und Deckungsprozess geklärt werden.

 

Rz. 125

In Fällen ohne deckungsrechtliche Fragen ist das Vorgehen aus abgetretenem Recht für den Anspruchsteller meist weniger problematisch. Er gewinnt den Versicherungsnehmer, der ohne Abtretung Prozesspartei wäre, als Zeugen. Glaubt das Gericht dem als Zeugen benannten Versicherungsnehmer jedoch nicht, ist nichts bewiesen. Wäre er Prozesspartei, hätte das Gericht hingegen dieselben Angaben als Geständnis gem. § 288 Abs. 1 ZPO der Entscheidung zugrunde zu legen.

 

Rz. 126

Die Abwehr des Haftpflichtanspruchs kann für den Versicherer schwieriger werden, z.B. weil die Beschaffung der Sachverhaltsinformationen inhaltlich und zeitlich komplizierter wird. Ein nicht mehr unmittelbar von dem Anspruch betroffener Versicherungsnehmer könnte sich nicht angesprochen fühlen. Gleichwohl hat er seinem Versicherer nach B 3 Ziff. 3.2 AVB/Ziff. 25.2 AHB die Informationen zu liefern und ihn bei der Schadensabwehr zu unterstützen. Der vom Versicherungsnehmer gerade beabsichtigte Zweck, sich durch Abtretung aus dem Streit herauszunehmen, z.B. wegen seiner Geschäftsbeziehung zum Anspruchsteller, wird also nicht erreicht.

 

Rz. 127

Verliert der Geschädigte sein gegen den Versicherer geführtes Verfahren, ist fraglich, ob er ein weiteres Verfahren gegen den Versicherungsnehmer führen kann und streitig,[110] ob der Versicherungsnehmer dann noch deckungsrechtliche Ansprüche gegen seinen Haftpflichtversicherer hat:

 

Rz. 128

Dem Geschädigten kann die erneute Inanspruchnahme des Versicherungsnehmers nur bei Rechtskrafterstreckung verwehrt sein. § 124 Abs. 1 und 2 VVG regelt die Rechtskrafterstreckung nach § 124 Abs. 3 VVG ausdrücklich nur für Fälle des § 115 Abs. 1 VVG (vgl. Rdn 139). Im Umkehrschluss findet in anderen Fällen keine Rechtskrafterstreckung statt.

 

Rz. 129

Zu einer Bindungswirkung gelangt man gleichwohl, wenn die Auslegung ergibt, dass die Abtretung an Erfüllungs statt erfolgt ist. Eine Abtretung nur erfüllungshalber schafft dem Geschädigten neben der Befriedigungsmöglichkeit gegenüber dem Versicherungsnehmer eine weitere gegenüber dem Versicherer. Eine Abtretung an Erfüllungs statt führt nach § 364 Abs. 1 BGB dazu, dass der Geschädigte den Versicherungsnehmer aus seiner Schuld entlässt. Für eine Abtretung an Erfüllungs statt spricht der von dem Geschädigten und dem Versicherungsnehmer bezweckte Sinn: Oft erfolgt die Abtretung, um geschäftliche oder zwischenmenschliche Beziehungen zwischen Versicherungsnehmer und Geschädigtem nicht durch eine Regulierungsablehnung des Haftpflichtversicherers und damit verbundene formaljuristische Konstellationen (Vertragspartner o.Ä. werden zu Prozessgegnern) zu gefährden. Andererseits gibt es für den Geschädigten keinen Grund, auf seinen Haftpflichtanspruch zu verzichten, nur weil der Schuldner seine Verbindlichkeit nicht durch einen Versicherer abdecken kann.

 

Rz. 130

Dem Geschädigten obliegt nach der Abtretung nicht nur zu seinem eigentlichen Haftpflichtschaden, sondern auch zu dem vorrangig zu prüfenden Versicherungsschutz die Darlegungs- und Beweislast. Er muss sich zu Tatsachen aus dem Deckungsverhältnis äußern, über die er ggf. selbst keine Kenntnis hat. Er kann den Prozess trotz begründeter Haftpflichtforderung mit entsprechender Kostenfolge aus deckungsrechtlichen Erwägungen verlieren.

 

Rz. 131

Auch bei Prozessverlust aus versicherungsrechtlichen Gründen hängt die Frage, ob der Geschädigte weiterhin den Versicherungsnehmer in Anspruch nehmen kann, vom Inhalt der Abtretungsvereinbarung (vgl. Rdn 129) ab. Selbst wenn ihm danach die Möglichkeit einer erneuten Klage gegen den Versicherungsnehmer bleibt, muss er noch einmal Kosten verauslagen, hat somit auch bei einem Obsiegen im zweiten Verfahren mindestens einen Prozess unnötig finanziert.

 

Rz. 132

Wegen der nur inter partes wirkenden Rechtskraft und weil die Abtretung nach dem Wortlaut der AVB/AHB und des § 108 VVG lediglich den Freistellungsanspruch b...

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