Rz. 485

In Fällen, die schon vom Aktenumfang her einer Prozessakte gleichkommen, ist mindestens eine 1,5 Gebühr angemessen, in der Regel sicher auch eine 2,0 Gebühr, vereinzelt sogar eine 2,5 Gebühr jedenfalls dann, wenn mindestens eine ausführliche Besprechung stattgefunden hat (vergleichbar früher einer 10/10 Geschäftsgebühr und einer 10/10 Besprechungsgebühr). Das gilt bei Großschadensfällen immer, aber auch bei außerordentlich hartnäckigem oder verzögerlichem Regulierungsverhalten des Versicherers. In solchen Fällen sollte der Anwalt verstärkt die maximale 2,5 Geschäftsgebühr beanspruchen, ggf. auch prozessual durchsetzen.

 

Rz. 486

Die Gebühr Nr. 2300 VV RVG ist als Rahmengebühr ausgestaltet. Nach der Rechtsprechung wird aber stets eine Karenz von 20 % angenommen, bis zu deren Überschreitung nicht von "Unangemessenheit" und demzufolge von einer Überschreitung dieses Karenzrahmens gesprochen werden kann (früher zu § 118 Abs. 1 Nr. 1 BRAGO: 8/10 AG Betzdorf zfs 2004, 130 f., ja sogar bis 9/10 in durchschnittlichen Fällen). Gleichwohl bedeutet dies nach inzwischen geklärter höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht, dass in durchschnittlichen Fällen die Regelgebühr von 1,3 um eine nicht gerichtlich überprüfbare Toleranz von 20 % überschritten werden dürfte. Vielmehr ist eine Erhöhung der Geschäftsgebühr über die für durchschnittliche Fälle geltende Regelgebühr von 1,3 hinaus nach Nr. 2300 VV RVG nur gerechtfertigt, wenn die Tätigkeit umfangreich oder schwierig und damit überdurchschnittlich war (BGH zfs 2012, 584; zfs 2013, 288; zfs 2014, 499).

 

Rz. 487

Was im Einzelnen unter umfangreich oder schwierig zu verstehen ist, wird in der Rechtsprechung zurzeit herausgearbeitet. Eine generelle Aussage, wie abzurechnen ist, wird sich erst mit der Zeit geben lassen. Es wird – wie bisher auch – stets auf den Einzelfall ankommen. Der Anwalt sollte – solange nur geringe Erfahrungswerte vorliegen – an Hand der einzelnen Kriterien des § 14 Abs. 1 RVG seine Bestimmung treffen und herausarbeiten, wo die Besonderheiten seines Falles liegen. Die Rechtsprechung ist hier zum Teil anwaltfreundlich. So sind u.a. zu berücksichtigen:

verzögerliche Bearbeitung durch den Versicherer (AG Ettlingen VersR 1982, 1157)
eventuelle Beweisauswertungen
überdurchschnittlich viele einzelne Schadenspositionen
rechtliche Probleme (OLG München AnwBl 1975, 252)
Fremdsprachenkenntnisse (LG Nürnberg-Fürth AnwBl 1969, 208; AG Darmstadt AnwBl 1970, 80; AG Köln AnwBl 1988, 76)
mangelnde Deutschkenntnisse des Mandanten (AG Bühl Mittbl 2004, 72 = AGS 2004, 287)
die Vertretung mehrerer Geschädigter, ohne dass eine Gebührenerhöhung nach Nr. 1008 VV RVG vorliegt – nämlich bei unterschiedlichen Ansprüchen der Geschädigten (vgl. Rdn 500)
umfangreiches Studium der Ermittlungsakten (Gerold/Schmidt/Mayer, § 14 RVG Rn 15)
Besprechungstermine außerhalb der gewöhnlichen Bürozeiten
Umfang der Handakten (AG Köln AnwBl 1974, 51)
Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers; das Bestehen einer Rechtsschutzversicherung darf insoweit bei den Vermögensverhältnissen berücksichtigt werden (LG Kaiserslautern AnwBl 1964, 289)
die Höhe des Sachschadens und die damit verbundene besondere Bedeutung der Angelegenheit für den Mandanten (LG Kiel JurBüro 1992, 602; AG Celle VersR 1967, 1130)
Spezialkenntnisse (z.B. Fachanwalt für Verkehrsrecht).
 

Rz. 488

Nach dem Urteil des LG Saarbrücken vom 3.3.2005 (14 O 458/04 – VerkehrsR aktuell 2005, 57; RVGreport 2005, 146 f.) handelt es sich um eine schwierige Angelegenheit i.S.d. Nr. 2300 VV RVG, wenn der Geschädigte verletzt wurde und Verdienstausfallansprüche im Raum stehen. Deren Feststellung sei erfahrungsgemäß mit Schwierigkeiten tatsächlicher und rechtlicher Art verbunden und gebe regelmäßig Anlass zu Kontroversen zwischen Geschädigtem und dem involvierten Versicherer. Im konkreten Fall hat das Gericht eine Gebühr von 1,8 für angemessen erachtet.

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