1. Verwirkungs- und Strafklauseln

 

Rz. 467

Ob bedingte Zuwendungen wirksam sind, ist insbesondere bei sog. Verwirkungsklauseln zu prüfen (auch kassatorische, privatorische Klauseln oder Strafklauseln genannt). Von Verwirkungsklausel spricht man, wenn der Erblasser seine Zuwendung (Erbeinsetzung, Vermächtnis) mit der – i.d.R. auflösenden Bedingung – verknüpft, der Bedachte solle nichts bzw. nur den Pflichtteil erhalten, wenn er gegen den letzten Willen vorgeht oder diesem zuwiderhandelt.[509]

 

Rz. 468

In der Praxis finden sich häufig Anordnungen des Inhalts, dass bei Zuwiderhandlungen die Erbenstellung des Bedachten zwar aufrechterhalten wird, der Bedachte aber verpflichtet ist, den Nachlass oder Teile davon an einen Dritten vermächtnisweise herauszugeben (Herausgabevermächtnis in der Form des aufschiebend bedingten Vermächtnisses).[510] Derartige Klauseln sind grundsätzlich im Rahmen der Testierfreiheit zulässig.

Häufiges Beispiel für eine Verwirkungsklausel ist die Bestimmung in einem gemeinschaftlichen Testament mit Einheitslösung, der Schlusserbe erhalte auch beim Tod des überlebenden Ehegatten nur den Pflichtteil, falls er beim Tod des erststerbenden Ehegatten den Pflichtteil verlangt hat (sog. Pflichtteilsstrafklausel).[511]

In Bezug auf die Wirksamkeit solcher Klauseln bestehen aber Grenzen.

 

Rz. 469

Bei sog. Pflichtteilsklauseln können insofern Auslegungsschwierigkeiten auftreten, als nicht immer eindeutig formuliert ist, unter welchen Voraussetzungen genau die Enterbung eintritt, wenn Pflichtteilsansprüche auf den Tod eines Elternteils geltend gemacht werden.[512]

Enthält ein Erbvertrag (oder ein Testament) eine Pflichtteilsklausel mit einer aufschiebend bedingten Enterbung, so kann ein Pflichtteilsverlangen auf den Tod des Zuerststerbenden nur bis zum Tod des Letztversterbenden zum Ausschluss der gesetzlichen Erbfolge führen.[513]

[509] MüKo/Leipold, § 2074 BGB Rn 19 m.w.N.
[510] BayObLGZ 1962, 47, 57; MüKo/Leipold, § 2074 BGB Rn 30.
[511] BayObLGZ 1990, 58; BayObLG FamRZ 1996, 440.
[512] Vgl. dazu ausführlich Radke, ZEV 2001, 136. OLG Frankfurt FamRZ 2002, 352: "Haben Eheleute in einem gemeinschaftlichen Testament lediglich eine Sanktionsklausel gegen ihre pflichtteilsberechtigten gemeinschaftlichen Kinder aufgenommen, ohne diese ausdrücklich als Schlusserben einzusetzen, so kann die Auslegung ergeben, dass die Eheleute gleichwohl ihre Kinder bindend als Schlusserben einsetzen wollten."
[513] OLG Stuttgart ErbR 2018, 97 = ZEV 2017, 708.

2. Bestimmtheit der Strafklausel

 

Rz. 470

Die Verwirkungsklausel muss ausreichend bestimmt und hinreichend klar formuliert sein. Vor allem in Bezug darauf, wie ernsthaft das Verlangen des Pflichtteils sein muss, insbesondere, ob schon das Verlangen ausreicht oder ob der Pflichtteilsberechtigte den Pflichtteilsbetrag auch ganz oder teilweise erhalten haben muss. Die h.M. hält im Wege der wohlwollenden Auslegung auch noch sehr allgemein und weit gefasste Anordnungen für wirksam, um dem Willen des Erblassers so weit wie möglich zur Geltung zu verhelfen.[514]

 

Rz. 471

So hat das OLG Dresden[515] darauf abgestellt, dass die testamentarische Klausel "wer das Testament anficht", sofern nicht entsprechende Hinweise gegeben sind, nicht auf die Anfechtung gem. §§ 2078 ff. BGB beschränkt ist, sondern alle Handlungen erfasst, die geeignet sind, die Verfügung ganz oder teilweise zu Fall zu bringen, also auch Einwendungen im Erbscheinsverfahren gegen die Wirksamkeit der Verfügung (z.B. Testierunfähigkeit des Erblassers).[516] Im Wege der Auslegung ist im Einzelfall zu ermitteln und festzustellen, welches Verhalten des Bedachten zur Bedingung erhoben ist und zur Verwirkung der ihm zugedachten Zuwendung führt.[517]

 

Rz. 472

Pflichtteilsklausel als Vermächtnisanordnung für Stiefkinder

Einen besonderen Fall der Auslegung einer Pflichtteilsklausel hat das OLG Celle[518] bei Vorhandensein von Kindern aus zwei verschiedenen Ehen vorgenommen ("Patchwork-Familie").

Ein Ehepaar hatte ein gemeinsames Kind, für die Ehefrau war es die zweite, für den Ehemann die erste Ehe. Aus ihrer ersten Ehe hatte die Ehefrau zwei Kinder. In einem gemeinschaftlichen Testament haben sich die Eheleute gegenseitig zu alleinigen befreiten Vorerben eingesetzt. Nacherben sollten alle drei Kinder sein. Das Testament enthielt eine Pflichtteilsklausel, wonach die Eheleute die Erbeinsetzung davon abhängig gemacht haben, dass die für den ersten Erbfall getroffene Regelung hingenommen werde. Damit stand die Erbfolge der Kinder des zuerst versterbenden Ehegatten nach dem überlebenden Ehegatten unter der auflösenden Bedingung (§ 2075 BGB), dass sie der in dem Testament enthaltenen Strafklausel nicht zuwiderhandelten. Auf den Tod ihrer Mutter haben deren aus ihrer ersten Ehe stammenden Kinder den Pflichtteil verlangt und auch ausgezahlt bekommen. Auf den Tod des überlebenden Witwers war streitig, ob die erstehelichen Kinder der vorverstorbenen Ehefrau Nacherben – bzw. Ersatzerben gem. § 2102 Abs. 2 BGB – geworden sind und welchen Inhalt die Pflichtteilsklausel in Bezug auf die erstehelichen Kinder haben soll...

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