Rz. 235

Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass auch im Zivilprozess trotz des dort herrschenden Beibringungsgrundsatzes ein Sachverständigengutachten von Amts wegen eingeholt werden kann, also ohne Antrag der beweispflichtigen Partei, §§ 144, 403, 442, 358a ZPO.[299] Insofern nähert sich der Zivilprozess bei entsprechendem Sachvortrag der Parteien dem Amtsermittlungsgrundsatz des Erbscheinsverfahrens. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die richterliche Hinweispflicht nach § 139 ZPO.

 

Rz. 236

Erforderlich ist regelmäßig die Einholung eines Sachverständigengutachtens eines Psychiaters – und nicht nur eines praktischen Arztes.[300] Zur Feststellung der Testierunfähigkeit im Prozess ist nach sorgfältiger Ermittlung des medizinischen Befundes ein nervenfachärztliches Sachverständigengutachten erforderlich.[301]

Das BayObLG führt aus:[302]

Zitat

"Die Frage, ob die Voraussetzungen der Testierunfähigkeit nach § 2229 IV BGB gegeben sind, ist im Wesentlichen tatsächlicher Natur."

 

Rz. 237

Sachverständigengutachten unterliegen der freien Beweiswürdigung. Das Gericht der Tatsacheninstanz muss das Sachverständigengutachten in jedem Fall auf seinen sachlichen Gehalt, seine logische Schlüssigkeit und darauf überprüfen, ob es von dem Sachverhalt ausgeht, den es selbst für erwiesen hält[303] und ob die Ausführungen des Gutachtens den Begriff der Testierfähigkeit erfüllen.[304] Will das Berufungsgericht die Ausführungen eines gerichtlich bestellten Sachverständigen anders würdigen als das erstinstanzliche Gericht, so hat es den Sachverständigen nach § 529 Abs. 1 Nr. 1, §§ 398, 402 ZPO erneut anzuhören, weil es sonst den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) in entscheidungserheblicher Weise verletzt.[305]

 

Rz. 238

Die Überprüfung hinsichtlich Schlüssigkeit und Gehalt des Gutachtens muss sich nicht auf die Berücksichtigung medizinischer Detailfragen erstrecken, deren Relevanz für einen medizinischen Laien nicht ohne weiteres erkennbar ist wie die Einbeziehung bestimmter Befunde. Insoweit kann vom Gericht die für eine solche Beurteilung erforderliche medizinische Sachkunde nicht erwartet werden. Es genügt, wenn sich der Tatrichter hinsichtlich Vollständigkeit und Schlüssigkeit mit den Lücken und Widersprüchen auseinander setzt, deren Bedeutung für das Gutachtensergebnis auch für medizinische Laien erkennbar ist, und sich im Übrigen hinsichtlich spezieller medizinischer Fragen mit den nicht offensichtlich irrelevanten Einwänden gegen das Gutachten befasst, die ihm von einem Beteiligten vorgetragen werden.[306]

 

Rz. 239

Die Würdigung eines Sachverständigengutachtens kann lediglich darauf geprüft werden, ob der Tatrichter unter Nachvollziehung der Argumentation des Sachverständigen dessen Feststellungen und Schlussfolgerungen selbstständig auf ihre Tragfähigkeit geprüft und sich eine eigene Überzeugung gebildet hat. Das Sachverständigengutachten über die Testierfähigkeit eines geistig behinderten Erblassers hat sich, wenn dazu Anlass besteht, auch auf die Frage zu erstrecken, ob der Erblasser fähig und in der Lage war, sich im Zuge seiner Entscheidungsfindung einer Einflussnahme oder Manipulation Dritter zu entziehen.[307]

 

Rz. 240

Die Einholung eines Obergutachtens kommt in Betracht bei sehr schwierigen medizinischen Fragen, bei groben Mängeln des Erstgutachtens, bei Zugrundelegung unzutreffender Anknüpfungstatsachen oder wenn der neue Sachverständige über neuere bzw. bessere Erkenntnismöglichkeiten (bspw. aktuelle Forschungsmittel) verfügt.[308]

 

Rz. 241

Der behandelnde Hausarzt ist sachverständiger Zeuge (§ 414 ZPO). Will das Gericht bei seiner Entscheidung zur Testierfähigkeit die Krankenakte des Erblassers verwerten, so ist jedem Beteiligten, der Einsicht in die Krankenakte verlangt, diese Einsicht zu gewähren. Andernfalls würde das rechtliche Gehör verletzt werden.[309] Die Vorlage der Krankenakte kann gem. § 142 ZPO erzwungen werden, wenn dem Arzt kein Zeugnisverweigerungsrecht zusteht.

 

Rz. 242

Zur Frage, ob dem Arzt ein Zeugnisverweigerungsrecht zusteht, kann gem. § 387 Abs. 1 ZPO eine Zwischenentscheidung ergehen, die mit der Beschwerde angefochten werden kann (zur ärztlichen Schweigepflicht vgl. Rdn 253 ff.). Die Beschwerdemöglichkeit besteht auch für ein Zwischenurteil, vgl. § 387 Abs. 3 ZPO.

 

Rz. 243

Im Rahmen des Erbscheinserteilungsverfahrens bzw. des Verfahrens auf Erteilung eines Europäischen Nachlasszeugnisses hat das Nachlassgericht von Amts wegen zu ermitteln, ob Testierfähigkeit vorlag, §§ 26, 29, 30 FamFG. Anders als im streitigen Verfahren trifft denjenigen, der sich auf die Testierunfähigkeit beruft, nicht die Beweislast, d.h., er muss die tatsächlichen Umstände nicht in der Weise darlegen, dass sich daraus selbst die Testierunfähigkeit ergibt. Es besteht insoweit keine "Schlüssigkeitsprüfung". Andererseits sind nur lediglich "pauschale" Behauptungen nicht ausreichend.[310]

 

Rz. 244

Zur Aufklärungsbedürftigkeit des Sachverhalts hat das OLG Frankfurt[311] in seiner Entscheidung vom 22.12.1997 ausgefü...

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