Leitsatz (amtlich)

1. Die Freiheit des Willensentschlusses des Testierenden beinhaltet seinem Sinn nach auch die insoweit erforderliche Unabhängigkeit des Erblassers von Einflüssen etwaiger interessierter Dritter.

2. Zur Frage, inwieweit der Tatrichter ein Sachverständigengutachten zur Testierfähigkeit auf die Beachtung medizinischer Detailfragen zu überprüfen hat und zur Berücksichtigung entsprechenden Vortrags in der Rechtsbeschwerdeinstanz.

3. Zur Frage, ob die Erbeinsetzung des von der Erblasserin eingesetzten Generalbevollmächtigten gegen die guten Sitten verstößt, wenn dieser in Ausübung seiner Vollmacht anderen Verwandten den Umgang mit der kranken Erblasserin untersagt hat.

 

Normenkette

BGB § 138 Abs. 1, § 2229 Abs. 4

 

Verfahrensgang

LG München I (Beschluss vom 14.10.2004; Aktenzeichen 16 T 9594/04)

AG München (Aktenzeichen 62-VI 440/03)

 

Tenor

I. Die weitere Beschwerde des Beteiligten zu 1) gegen den Beschluss des LG München I vom 14.10.2004 wird zurückgewiesen.

II. Der Beteiligte zu 1) hat die dem Beteiligten zu 2) im Verfahren der weiteren Beschwerde entstandenen Kosten zu erstatten.

III. Der Geschäftswert des Verfahrens der weiteren Beschwerde wird auf 130.180 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Die verwitwete Erblasserin ist im Alter von 80 Jahren kinderlos verstorben. Der Beteiligte zu 1) ist ihr Bruder, der Beteiligte zu 2) ist dessen Sohn. Weitere Geschwister sind nicht vorhanden, die Eltern sind vorverstorben.

Der Nachlass besteht im Wesentlichen aus einem hälftigen Anteil an einer Erbengemeinschaft, der ein Einfamilienhaus gehört; die Summe der Nachlasswerte insgesamt beträgt ausweislich des Nachlassverzeichnisses 131.980 EUR, die der Nachlassverbindlichkeiten 1.800 EUR.

Die Erblasserin wurde am 28.8.2002 wegen eines Herzinfarkts sowie eines rechtsseitigen Hirninfarkts stationär behandelt, dann am 18.9.2002 zur neurologischen Frührehabilitation in die Rehabilitationsklinik verlegt, wo sie bis zu ihrer Entlassung in ein Münchner Seniorenheim am 5.11.2002 verblieb. Mit Beschluss des AG vom 19.9.2002 wurde die freiheitsentziehende Unterbringung der Erblasserin in einer geschlossenen Einrichtung, längstens bis zum 30.10.2002, genehmigt. Mit notarieller Urkunde vom 12.9.2002 erteilte die Erblasserin dem Beteiligten zu 2) eine Generalvollmacht für Entscheidungen in allen Bereichen des Lebens und über den Tod hinaus für den Fall, dass sie nicht mehr in der Lage sein sollte, ihre Angelegenheiten selbst zu regeln, und schlug ihn als ihren möglichen Betreuer vor.

Am 28.9.2002 errichtete die Erblasserin ein handschriftliches Testament, in dem sie sämtliche früheren Testamente widerrief und den Beteiligten zu 2) zu ihrem Alleinerben einsetzte. Ein inhaltsgleiches Testament errichtete sie am 26.10.2002.

Der Beteiligte zu 1) bezweifelt die Testierfähigkeit der Erblasserin zu den Zeitpunkten der Testamentserrichtung unter Hinweis auf zahlreiche nicht datierte Schreiben der Erblasserin mit Poststempeln ganz überwiegend zwischen dem 7.10.2002 und 24.10.2002, aus denen sich nur zusammenhanglose Äußerungen ergäben und die auf eine erhebliche geistige Beeinträchtigung der Verstorbenen hindeuteten. Er ist der Auffassung, es sei gesetzliche Erbfolge eingetreten und hat die Erteilung eines Alleinerbscheins zu seinen Gunsten beantragt.

Der Beteiligte zu 2) hat sich diesem Antrag widersetzt.

Das AG hat nach Erholung einer ärztlichen Stellungnahme der Direktorin der Rehabilitationsklinik, der Beiziehung von Unterbringungs-, Kranken- und Pflegeakten und Einholung eines psychiatrischen Gutachtens sowie einer weiteren ergänzenden gutachterlichen Stellungnahme mit Beschl. v. 22.4.2004 den Erbscheinsantrag des Beteiligten zu 1) zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass eine durchgängige ausgeprägte Störung kognitiver oder amnestischer Art der Erblasserin nicht zu belegen sei. Es seien lediglich Zweifel an ihrer Testierfähigkeit begründet; im Übrigen stimme der Inhalt der Testamente mit dem von der Erblasserin gezeigten Vertrauen zum Beteiligten zu 2) und ihrem Misstrauen ggü. dem Beteiligten zu 1) überein. Gegen diesen Beschluss hat der Beteiligte zu 1) Beschwerde eingelegt und unter Bezugnahme auf ein von ihm vorgelegtes Privatgutachten zur Begründung angeführt, dass sich aus dem zeitlichen Zusammenhang der erhobenen ärztlichen Befunde zur jeweiligen Testamentserrichtung eine völlige Desorientierung und Verwirrtheit der Erblasserin mit der Folge ihrer Testierunfähigkeit ergeben würde.

Das LG hat eine weitere ergänzende schriftliche Stellungnahme des Sachverständigen eingeholt und mit Beschl. v. 14.10.2004 die Beschwerde zurückgewiesen. Gegen die Entscheidung des LG hat der Beteiligte zu 1) weitere Beschwerde eingelegt mit dem Antrag, den Beschluss des AG München vom 22.4.2004 aufzuheben und dem Beteiligten zu 1) einen Erbschein als Alleinerbe zu erteilen.

II. Die zulässige weitere Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.

1. Das LG ist in Übereinstimmung mit dem AG zu dem Ergebnis gekommen, dass der Beteiligte zu 2) auf Grund der w...

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