Rz. 87

Art. 88 Abs. 1 DSGVO bezieht "Kollektivvereinbarungen" in die möglichen nationalen Rechtsvorschriften zur Regelung des Datenschutzes im Beschäftigungskontext ein. Damit wurde insbesondere dem Interesse Deutschlands Genüge getan, die gewachsene und gelebte Praxis datenschutzrechtlicher Regelungen in Betriebsvereinbarungen und Tarifverträgen auch nach dem 25.5.2018 zu ermöglichen (Düwell/Brink, NZA 2017, 1081, 1082; Kort, ZD 2016, 3, 5).

 

Rz. 88

Der deutsche Gesetzgeber hat in § 26 Abs. 4 S. 1 BDGS von der in Art. 88 Abs. 1 DSGVO eröffneten Möglichkeit Gebrauch gemacht und bestimmt, dass die Verarbeitung personenbezogener Daten, einschließlich besonderer Kategorien personenbezogener Daten von Beschäftigten für Zwecke des Beschäftigungsverhältnisses auf der Grundlage von Kollektivvereinbarungen zulässig ist. Betriebs- oder Dienstvereinbarungen sollen den Verhandlungsparteien der Kollektivvereinbarungen die Ausgestaltung eines auf die betrieblichen Bedürfnisse zugeschnittenen Beschäftigtendatenschutzes ermöglichen (BT-Drucks 18/11325, 98). § 26 Abs. 4 S. 2 BDSG enthält den deklaratorischen Hinweis, dass die Verhandlungspartner dabei Artikel 88 Abs. 2 der DSGVO zu beachten haben.

Im Hinblick auf § 26 Abs. 4 BDSG kann Kollektivvereinbarungen auf zwei unterschiedliche Arten datenschutzrechtliche Bedeutung zukommen (Klocke, ZTR 2018, 116 ff.). Zum einen bezieht sich der gesetzliche Erlaubnistatbestand von § 26 Abs. 1 S. 1 BDSG auf die Ausübung von Rechten und die Erfüllung von Pflichten, welche aus einer Kollektivvereinbarung folgen. Macht eine Kollektivvereinbarung die Datenverarbeitung erforderlich, wird sie über diesen Tatbestand gestattet. Zum anderen können die Kollektivpartner aber auch unmittelbar mit einer Kollektivvereinbarung datenschutzrechtliche Erlaubnistatbestände schaffen.

 

Rz. 89

Die Kollektivvereinbarungen müssen seit dem 25.5.2018 den in Art. 88 Abs. 1 und Abs. 2 DSGVO gestellten Anforderungen genügen. Das gilt sowohl für die in Art. 88 Abs. 1 DSGVO festgelegte Ermächtigungsbedingung in Bezug auf "spezifischere" Vorschriften als auch für das in Art. 88 Abs. 2 DSGVO festgeschriebene Schutzniveau solcher Bestimmungen.

 

Rz. 90

Nach Art. 88 Abs. 1 DSGVO können die Mitgliedstaaten durch Rechtsvorschriften oder durch Kollektivvereinbarungen spezifischere Vorschriften zur Gewährleistung des Schutzes der Rechte und Freiheiten hinsichtlich der Verarbeitung personenbezogener Beschäftigtendaten im Beschäftigungskontext, insbesondere für Zwecke der Einstellung, der Erfüllung des Arbeitsvertrags einschließlich der Erfüllung von durch Rechtsvorschriften oder durch Kollektivvereinbarungen festgelegten Pflichten, des Managements, der Planung und der Organisation der Arbeit, der Gleichheit und Diversität am Arbeitsplatz, der Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz, des Schutzes des Eigentums der Arbeitgeber oder der Kunden sowie für Zwecke der Inanspruchnahme der mit der Beschäftigung zusammenhängenden individuellen oder kollektiven Rechte und Leistungen und für Zwecke der Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses vorsehen.

 

Rz. 91

Allerdings sind datenschutzrechtliche Erlaubnistatbestände in Tarifverträgen oder Betriebsvereinbarungen nicht unbeschränkt oder kontrollfrei zulässig (vgl. zum alten Recht bereits BAG AP BetrVG 1972 § 87 Überwachung Nr. 15). Gem. Art. 88 Abs. 2 DSGVO umfassen diese Vorschriften daher angemessene und besondere Maßnahmen zur Wahrung der menschlichen Würde, der berechtigten Interessen und der Grundrechte der betroffenen Person, insbesondere im Hinblick auf die Transparenz der Verarbeitung, die Übermittlung personenbezogener Daten innerhalb einer Unternehmensgruppe oder einer Gruppe von Unternehmen, die eine gemeinsame Wirtschaftstätigkeit ausüben, und die Überwachungssysteme am Arbeitsplatz.

Art. 88 Abs. 2 DSGVO kommt damit erhebliche praktische Bedeutung zu. Zwar müssen die (fortbestehenden) Kollektivvereinbarungen nicht gem. Art. 88 Abs. 3 DSGVO gegenüber der Kommission notifiziert werden, dennoch unterfallen sie nur dann der Ermächtigungsvorschrift des Art. 88 Abs. 1 DSGVO, wenn sie auch sämtliche Anforderungen des Art. 88 Abs. 2 DSGVO erfüllen. Da bereits nach der derzeitigen Rechtsprechung zu Betriebsvereinbarungen die Grundrechte und berechtigten Interessen der Beschäftigten sowie der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu wahren sind, folgen aus der DSGVO insofern zwar keine wesentlichen Abweichungen. Die Verhandlungspartner haben jedoch insbesondere darauf zu achten, dass die Kollektivvereinbarungen angemessene und besondere Maßnahmen vorsehen im Hinblick auf die Transparenz der Verarbeitung, die konzerninterne Datenübermittlung und die Überwachungssysteme am Arbeitsplatz.

Angemessenheit setzt eine Verhältnismäßigkeitsprüfung voraus. Damit sind auch pauschale Kontrollverbote in Betriebsvereinbarungen ausgeschlossen, da sie eine solche angemessene Interessenabwägung gerade nicht erlauben (Wybitul, NZA 2017, 413, 418; Maschmann, DB 2016, 2480, 2486). Es bleibt damit auch nach der Geltun...

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