Rz. 127

Im Rahmen der Bewertung sind Nutzungsrechte und wiederkehrende Leistungen, die für den Schenker eingeräumt werden, mit ihren kapitalisierten Jahreswerten anzusetzen. In der Regel ist das der nachhaltig erzielte oder erzielbare Ertrag nach Berücksichtigung der Bewirtschaftungs- und Erhaltungsaufwendungen, die für den Schenkungsgegenstand anfallen.[374] Wie diese Kapitalisierung zu berechnen ist, ist umstritten. Dies gilt zunächst schon für den Kapitalisierungsfaktor.

 

Rz. 128

(1) Die h.M. und insbesondere die Rechtsprechung des BGH stellt grundsätzlich auf die im Zeitpunkt des Vollzugs der Schenkung anzunehmende allgemeine Lebenserwartung des Schenkers ab, nimmt also eine "exante Betrachtung" vor (teilweise als "abstrakte Berechnung" bezeichnet). Hiervon wird nur abgewichen, wenn die Besonderheiten des Sachverhalts eine kürzere Lebenserwartung wahrscheinlich erscheinen lassen.[375]

 

Rz. 129

(2) Die Gegenansicht ermittelt wegen der Schutzbedürftigkeit des Pflichtteilsberechtigten bei einem früheren Tod des Erblassers den Wert dieser Rechte nach der tatsächlichen Dauer aus einer "ex-post-Betrachtung".[376] Sie vermeidet Härten nach beiden Seiten, wenn die bei der Schenkung anzunehmende Lebenserwartung des Erblassers erheblich von seiner tatsächlichen Lebenszeit abweicht. Sie verkennt jedoch den Grundsatz der subjektiven Äquivalenz:[377] Inwieweit die Zuwendung eine ganze oder gemischte Schenkung darstellt, bestimmt sich nach der Einigung der Vertragsteile bei Vertragsabschluss.[378] Ein damals nicht vorhersehbarer plötzlicher Tod des Erblassers kann demnach die Höhe der angenommenen Entgeltlichkeit ebenso wenig mehr beeinflussen wie wenn der Schenker wesentlich länger lebt, als nach den damaligen Verhältnissen anzunehmen war. Nicht vertretbar aber OLG Oldenburg,[379] wonach bei einem Tod 14 Monate nach der Schenkung ein vorbehaltenes Wohnungsrecht überhaupt nicht berücksichtigt wird; das OLG Oldenburg verkennt, dass das Niedrigstwertprinzip keine Bewertungsvorschrift ist.

 

Rz. 130

Hat man den Kapitalisierungsfaktor bestimmt, darf man aber nicht einfach den ermittelten Jahreswert (z.B. jährlicher Nettomietertrag) mit der statistischen Lebenserwartung aus einer Sterbetafel multiplizieren. Denn dabei würde verkannt, dass die erst ab dem Zeitpunkt der Schenkung zu erbringenden künftigen und damit eben teilweise noch gestundeten Leistungen einen – bezogen auf den Vertragsabschluss – geringeren Gegenwartswert haben als die bloße Summe ihrer Leistungen. Die Leistungen sind daher den betriebswirtschaftlichen Gepflogenheiten entsprechend abzuzinsen, um nicht viel zu hohe Kapitalisierungswerte zu ermitteln.[380]

 

Rz. 131

Der Berechnung ist also grundsätzlich die statistische Lebenserwartung des Nutzungsberechtigten zum Zeitpunkt der Zuwendung zugrunde zu legen. Die Berechnung kann entweder auf Grundlage der einschlägigen Leibrententabellen[381] oder des Vervielfältigers nach Anlage 9 zu § 14 Abs. 1 Bewertungsgesetz[382] erfolgen, wobei der Vervielfältiger eine Abzinsung mit 5,5 % jährlich für die lebenslangen Nutzungen enthält. Die überwiegende Meinung, vor allem die Rechtsprechung, spricht sich für die Anwendung von § 14 Abs. 1 BewG aus.[383] Die Berechnung nach dem früheren § 24 Abs. 2 KostO, heute § 52 GNotKG, wird dagegen von den Gerichten verworfen, weil ihr besondere kostenrechtliche Überlegungen zugrunde liegen.[384]

[374] Damrau/Tanck/Riedel, § 2325 Rn 116; gute Darstellung auch bei Gehse, RNotZ 2009, 361, 374 ff.
[375] BGHZ 65, 75, 77 (Abweichung in Anbetracht des Gesundheitszustands bei Tod sechs Monate nach der Übergabe); OLG Koblenz NJOZ 2006, 3869 = FamRZ 2006, 1789, 1791; Link, ZEV 2005, 283, 286; OLG Köln MittRhNotK 1997, 79 = OLGR Köln 1997, 79 (in FamRZ 1997, 1437 insoweit nicht abgedruckt): "todkranker Schenker", der einen Monat später verstarb. Wenn die statistische Lebenserwartung "nahezu erreicht" ist, hält OLG Köln eine Kapitalisierung "nach dem tatsächlich erreichten Alter des Erblassers" unter Berücksichtigung des konkreten Gesundheitszustands bei Vornahme des Rechtsgeschäfts für richtig, nicht aber nach der allgemeinen Sterbetabelle (FamRZ 1992, 480; FamRZ 1997, 1113, 1114); so wohl auch OLGR Köln 1993, 43, wonach auf die durchschnittliche Lebenserwartung im Zuwendungszeitpunkt abzustellen ist, maßgeblich daher die konkrete Lebenserwartung bei Vornahme des Rechtsgeschäfts, "nicht aber das durchschnittliche Lebensalter eines Mannes (beziehungsweise einer Frau) der heutigen Zeit".
[376] Palandt/Weidlich, § 2325 Rn 22; Schopp, Rpfleger 1956, 119, 120 f.; Sostmann, MittRhNotK 1976, 479, 503; N. Mayer, FamRZ 1994, 739, 744; Heinrichs, MittRhNotK 1995, 157, 168; Pentz, FamRZ 1997, 724, 728; Wegmann, Grundstücksüberlassung, 2. Aufl., Rn 237; Gottwald, Pflichtteilsrecht, § 2325 Rn 70; Staudinger/Olshausen, § 2325 Rn 104; Joachim, ZEV 2006, 504, 504 f.
[377] Reiff, ZEV 1998, 241, 247.
[378] OLG Oldenburg FamRZ 1998, 516, 517: spätere Ereignisse sind für die Frage der Bewertung der Leistungen irrelevant; ähnlic...

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