Rz. 36

Anders ist es dagegen mit den Inhalten des § 90 SGB XII und der Art der Vermögensanrechnung. § 92 Abs. 1a SGB VIII definiert nicht, was Vermögen i.S.d. SGB VIII ist. Deshalb hier noch einmal für die wenigen verbleibenden Praxisfälle zusammengefasst:

Ohne Bedeutung ist nach Maßgabe der sozialhilferechtlichen Bestimmung des Vermögensbegriffs die Herkunft des Vermögens oder dessen Zweckbestimmung.[32] Einsatzpflichtig ist das gesamte verwertbare Vermögen i.S.v. § 90 Abs. 1 SGB XII. "Verwertbarkeit" bedeutet tatsächlich und rechtlich verwertbar. Anders als im BAföG-Recht ist damit von Anfang an ein strikt zu berücksichtigender Schonvermögenstatbestand geschaffen, der gegenwärtige tatsächliche und rechtliche Verwertbarkeit voraussetzt. Fehlende Verwertbarkeit wird also nicht erst über einen weiteren Ausnahmetatbestand und einen Unbilligkeitstatbestand wie in § 29 Abs. 3 BAföG berücksichtigt.

 

Rz. 37

Die zeitliche Komponente der Verwertbarkeit bedeutet, dass prognostisch festgestellt werden muss, ob alsbald mit der Möglichkeit konkreter Bedarfsdeckung zu rechnen ist. Ist das nicht der Fall, liegt kein verwertbares Vermögen vor. Ansonsten ist von der Darlehensmöglichkeit Gebrauch zu machen.

 

Rz. 38

Die Verwertbarkeit kann also an Verfügungshindernissen scheitern, wenn z.B. wie beim Behinderten- und Bedürftigentestament "Schutzringe" um den Nachlass gezogen worden sind. Diese Schutzringe bestehen beim Behindertentestament immer aus Dauertestamentsvollstreckung nach § 2209 BGB und Verwaltungsanordnungen nach § 2216 Abs. 2 BGB. Eine einfache Testamentsvollstreckung reicht nicht aus, weil sich die Jugendhilfebehörde zwar nicht an die der Testamentsvollstreckung unterliegenden Nachlassgegenstände halten kann; aber die Erben haben gegen den Testamentsvollstrecker einen Anspruch auf Herausgabe. Der Testamentsvollstrecker hat Nachlassgegenstände, deren er zur Erfüllung seiner Obliegenheiten offenbar nicht bedarf, dem Erben nach § 2217 BGB auf Verlangen zur freien Verfügung zu überlassen oder sonstige Erbschaftsmittel nach den Anordnungen, die der Erblasser für die Verwaltung durch letztwillige Verfügung getroffen hat, herauszugeben.[33] Fehlen solche Anordnungen, muss im Rahmen der ordnungsgemäßen Verwaltung herausgegeben werden. Dieser Anspruch des Erben ist ein eigener Vermögenswert, der einsatzpflichtig ist.[34]

 

Rz. 39

Für die Feststellung dessen, was der Kostenbeitragspflichtige nicht einsetzen muss, sind auch die Regeln über das Schonvermögen des § 90 Abs. 2 und 3 SGB XII heranzuziehen. Auf die dortigen Ausführungen zum SGB XII kann verwiesen werden.

Nach § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII i.V.m. der VO zur Durchführung des § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII gilt für die leistungsberechtigte Person ein Vermögensschonbetrag von 5.000 EUR. Der Gesetzgeber hat keinen oberhalb des sozialhilferechtlichen Schonvermögens nach § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII liegenden großzügigeren Betrag von der Vermögensanrechnung freigelassen, was den Träger der Jugendhilfe in Anlehnung an § 29 Abs. 1 S. 1, Abs. 3 BAföG nicht hindert, den Schonvermögensbetrag zu erhöhen, um dem jungen Volljährigen eine Verselbstständigung im eigenen Haushalt zu ermöglichen.

 

Rz. 40

Verwertbares Vermögen i.S.d. § 90 SGB XII kennt keine Saldierung von Aktiva und Passiva. Vermögen ist nicht der Überschuss der Aktiva über die Passiva, sondern jeder Vermögensgegenstand, durch dessen Verwertung der Notlage des Hilfesuchenden ganz oder teilweise abgeholfen werden kann.[35]

 

Rz. 41

Es gibt auch keine Regelung wie in § 28 Abs. 3 BAföG, wo zu den abzuziehenden Schulden und Lasten alle dem Auszubildenden obliegenden Leistungsverpflichtungen, deren Bestehen nach zivilrechtlichen Grundsätzen zu bestimmen ist, gehören. Gegenansprüche finden in der Definition des Vermögens keinen Platz.

 

Rz. 42

Nur ausnahmsweise können Verbindlichkeiten Berücksichtigung finden, wenn sie unmittelbar mit dem Vermögensgegenstand verknüpft sind, z.B. eine Hypothekenforderung in Bezug auf ein Grundstück, da das Grundstück nicht ohne die Befriedigung dieser Forderung verwertet, nämlich veräußert werden könnte. Konsequenterweise werden Privatdarlehen nicht berücksichtigt.[36]

[32] VG Augsburg v. 21.5.2015 – Az.: Au 3 K 14.1578 Rn 42, für Vermögen aus Erbfall Rn 45 f.
[33] § 2217 BGB regelt die Pflicht zur Freigabe. Ein Freigaberecht darüber hinaus hat der Testamentsvollstrecker nicht. Vgl. Reimann, Die Nachlassauseinandersetzung durch Testamentsvollstrecker bei Erbteilungsverbot und Dauervollstreckung, DNotZ 2016, 769, 778.
[34] Mit der Begründung, der Anspruch des Erben gegen den Testamentsvollstrecker sei pfändbar, VG Minden v. 13.12.2013 – Az.: 6 K 1063/11, juris Rn 37 ff.
[35] OVG NRW v. 9.8.1996 – Az.: 8 A 3429/94, NJW 1997, 2900 Ls.
[36] Vgl. Mester, Rechtsprechung zum Vermögenseinsatz nach SGB II und SGB XII, Teil 1, 80, 90 m.w.N.

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