Rz. 5

Art. 4 ff. EuErbVO regeln die internationale Zuständigkeit der Gerichte der Mitgliedstaaten für "Entscheidungen in Erbsachen". Die Zuständigkeitsvorschriften der EuErbVO unterscheiden dabei nicht zwischen streitigen und nichtstreitigen Verfahren, sondern sind in beiden Verfahrensarten gleichermaßen anwendbar. Der Begriff der Erbsache wird in Art. 3 EuErbVO nicht legaldefiniert. Er ist autonom auszulegen, also aus der Verordnung heraus ohne Rückgriff auf nationale Verfahrenseinteilungen.[4] Insbesondere enthält Art. 23 Abs. 2 EuErbVO einen Katalog von Rechtsfragen, die dem Erbstatut unterliegen und damit als Erbsache zu qualifizieren sind. In negativer Hinsicht schließt Art. 1 Abs. 2 EuErbVO bestimmte Problembereiche (etwa unentgeltliche Zuwendungen zu Lebzeiten, lit. g) vom Anwendungsbereich der Verordnung aus. Auch die ErwG 9 ff. äußern sich zum Geltungsbereich der Verordnung und können zur autonomen Auslegung des Begriffs der Erbsache herangezogen werden.

 

Rz. 6

Eine Definition dessen, was als Entscheidung i.S.d. EuErbVO zu verstehen ist, findet sich in Art. 3 Abs. 1 lit. g EuErbVO. Diese lässt allerdings aufgrund ihrer tautologischen Struktur vieles unklar. Unzweifelhaft gehören zu den Entscheidungen jedenfalls die in Rechtskraft erwachsenden Abschlussentscheidungen in kontradiktorisch geführten Gerichtsverfahren.[5] Aber auch Maßnahmen der freiwilligen Gerichtsbarkeit können Entscheidungscharakter haben, sofern ihnen unmittelbare Regelungswirkung zukommt und das Gericht nicht eher administrativ als Justizbehörde tätig wird. Die Abgrenzung ist mit der Oberle-Entscheidung des EuGH, wonach selbst die Erteilung eines nationalen Erbscheins eine Entscheidung i.S.d. Verordnung sein kann, schwieriger geworden.[6] Weiterhin keine Entscheidung liegt vor bei der amtlichen Verwahrung von Testamenten (§ 342 Abs. 1 Nr. 1 FamFG). Auch Sicherungsmaßnahmen i.S.v. § 342 Abs. 1 Nr. 2 FamFG unterliegen nicht den Zuständigkeitsvorschriften der Verordnung, sondern alleine dem unvereinheitlichten Recht des Mitgliedstaates. Umstritten ist, ob sich die internationale Zuständigkeit für die Testamentseröffnung nach Art. 4 EuErbVO bestimmt. Zu Recht wird auch dies ganz überwiegend verneint, da die Rechtsposition der Beteiligten hiervon faktisch nicht beeinflusst wird.[7] Die Zuständigkeit richtet sich daher weiterhin autonom nach §§ 105, 343, 344 Abs. 6 FamFG. Für die Entgegennahme von Annahme- oder Ausschlagungserklärungen enthält Art. 13 EuErbVO eine Sonderregelung (siehe dazu Rdn 48 ff.).

 

Rz. 7

Die EuErbVO behandelt die internationale Zuständigkeit, also die Frage, ob die Gerichte eines bestimmten Staates für das Verfahren zuständig sind. Die örtliche Zuständigkeit eines konkreten Gerichts ist nur in den Art. 5 ff. EuErbVO mitgeregelt, also bei der Prorogation und ihren Surrogaten; im Übrigen richtet sie sich nach dem nationalen Verfahrensrecht, in Deutschland also nach den §§ 2, 47 IntErbRVG. Die sachliche und funktionelle Zuständigkeit bestimmen sich ausschließlich nach den allgemeinen Verfahrensvorschriften des Mitgliedstaates (Art. 2 EuErbVO). Die Bestimmung der internationalen Zuständigkeit durch die EuErbVO ist abschließend. Das gilt auch dann, wenn es um Verfahren geht, die in tatsächlicher Hinsicht keinen Bezug zu anderen Mitgliedstaaten, sondern ausschließlich zu Nichtmitgliedstaaten aufweisen (vgl. ErwG 30).[8] Eine Zuständigkeit deutscher Gerichte kann sich aus nationalem Verfahrensrecht nur noch dort ergeben, wo der Anwendungsbereich der Verordnung nicht eröffnet ist.

 

Rz. 8

Wie im Kollisionsrecht (Art. 21 Abs. 1 EuErbVO) gilt auch im Zuständigkeitsrecht der Grundsatz der Nachlasseinheit. Sind die Gerichte eines Mitgliedstaates international zuständig, so entscheiden sie also über den gesamten Nachlass, auch soweit Nachlassgegenstände in einem Drittstaat belegen sind. Zu einer prozessualen Spaltung des Nachlasses kann es nur ausnahmsweise unter den Voraussetzungen von Art. 10 Abs. 2 EuErbVO oder Art. 12 Abs. 1 EuErbVO kommen.

[4] Köhler, in: Gierl/Köhler/Kroiß/Wilsch, Internationales Erbrecht, 2. Aufl. 2017, Teil 1 § 3 Rn 3; MüKo-BGB/Dutta, 7. Aufl. 2018, vor Art. 4 EuErbVO Rn 4 ff.
[5] BeckOGK/J. Schmidt, 1.12.2018, EuErbVO Art. 3 Rn 29 ff.; Franzmann/Schwerin, in: Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen, 2016, Art. 39 EuErbVO Rn 3.
[6] EuGH, Urt. v. 21.6.2018 – Rs. C-20/17 (Oberle), DNotZ 2018, 699, 704; dazu Weber, RNotZ 2018, 454 ff.; Fornasier, FamRZ 2018, 1265 f.
[7] So Weber, RNotZ 2018, 454, 463; Bauer, in: Dutta/Weber, Internationales Erbrecht, 2016, Art. 3 EuErbVO Rn 11; NK-BGB/Makowsky, Bd. 6, 2. Aufl. 2015, Art. 4 EuErbVO Rn 13; Egidy/Volmer, Rpfleger 2015, 433, 441; Grau, FS Schilken, 2015, S. 3, 15 f.; Lutz, BWNotZ 2016, 34, 40; jurisPK-BGB/Eichel, 8. Aufl. 2017, Art. 4 EuErbVO Rn 23. A.A. aber MüKo-BGB/Dutta, 7. Aufl. 2018, vor Art. 4 EuErbVO Rn 9.
[8] Wall, in: Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen, 2016, vor Art. 4 ff. EuErbVO Rn 4.

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