Rz. 1
Das internationale Erbverfahrensrecht ist durch die Europäische Erbrechtsverordnung – Verordnung (EU) Nr. 650/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4.7.2012 (EuErbVO)[1] – in weiten Teilen europäisiert worden. Seither gilt es, bei der Lösung prozessualer Fragen vier Normenkomplexe im Blick zu haben, nämlich
▪ | die EuErbVO nebst dazugehöriger Durchführungsverordnung, weiterhin |
▪ | das deutsche Internationale Erbrechtsverfahrensgesetz (IntErbRVG),[2] ergänzend |
▪ | die übrigen Vorschriften des deutschen Verfahrensrechts und schließlich |
▪ | die internationalen Staatsverträge, an denen die Bundesrepublik beteiligt ist. |
Rz. 2
Die EuErbVO enthält verfahrensrechtliche Regelungen zur internationalen Zuständigkeit (Kapitel II: Art. 4–19 EuErbVO), zur Anerkennung, Vollstreckbarkeit und Vollstreckung von Entscheidungen von Gerichten anderer Mitgliedstaaten (Kapitel IV: Art. 39–58 EuErbVO), über öffentliche Urkunden und Vergleiche (Kapitel V: Art. 59–61 EuErbVO) und zum Europäischen Nachlasszeugnis (Kapitel VI: Art. 62–73 EuErbVO). Ergänzt wird die EuErbVO durch die Durchführungsverordnung (Verordnung (EU) Nr. 1329/2014 vom 9.12.2014),[3] in der die nach der EuErbVO zu verwendenden Formblätter festgelegt sind. Die beiden Verordnungen gelten in allen Mitgliedstaaten der EU mit Ausnahme von Großbritannien, Irland und Dänemark. Die Gerichte in den zuletzt genannten Staaten wenden weiterhin ausschließlich ihr autonomes Verfahrensrecht an. In zeitlicher Hinsicht gilt das europäische Recht gemäß Art. 83 Abs. 1 EuErbVO für alle Erbsachen, bei denen der Erblasser am 17.8.2015 oder später verstorben ist. Altfälle sind dagegen weiterhin nach dem zuvor geltenden autonomen Prozessrecht des Gerichtsstaates zu behandeln.
Rz. 3
Detailfragen der Verfahrensdurchführung, welche die EuErbVO offengelassen hat, hat der deutsche Gesetzgeber im Internationalen Erbrechtsverfahrensgesetz (IntErbRVG) geregelt. Der sachliche Anwendungsbereich des IntErbRVG ist an denjenigen der EuErbVO geknüpft. Wo auch das IntErbRVG keine besonderen Vorschriften enthält, ist schließlich ergänzend auf die allgemeinen zivilprozessualen Regelungen insbesondere der ZPO, des GVG und des FamFG zurückzugreifen. Im Rahmen der Einpassung der EuErbVO und des IntErbRVG in das deutsche Recht hat der Gesetzgeber allerdings auch hier einige wichtige Änderungen vorgenommen.
Rz. 4
Nach Art. 75 Abs. 1 EuErbVO bleiben völkerrechtliche Vereinbarungen, welche die Mitgliedstaaten vor Inkrafttreten der Verordnung getroffen haben, weiterhin in Kraft. Diese Staatsverträge sind also vorrangig vor der EuErbVO zu prüfen. Zuständigkeitsrechtliche Regelungen enthält insbesondere das Deutsch-Türkische Nachlassabkommen vom 28.5.1929. Bei der Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen sind mehrere bilaterale Verträge der Bundesrepublik vorrangig zu beachten.
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