aa) Wegzugsbesteuerung nach § 6 AStG

 

Rz. 312

Nach § 6 Abs. 1 Satz 1 AStG werden die stillen Reserven in Anteilen an einer inländischen Kapitalgesellschaft einer natürlichen Person (Gesellschafter), die seit mindestens zehn Jahren der unbeschränkten Einkommensteuerpflicht unterlag, im Zeitpunkt des Wegzugs des Gesellschafters in das Ausland (Beendigung der unbeschränkten Steuerpflicht durch Aufgabe des Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthaltes) aufgedeckt und der Einkommensteuer unterworfen. § 6 Abs. 1 AStG führt zur Anwendung des § 17 EStG auch ohne die von diesem vorausgesetzte Veräußerung der Anteile. Weitere Voraussetzung für die Besteuerung der stillen Reserven ist damit, dass die Beteiligung "wesentlich" i.S.d. § 17 EStG ist, d.h. die Beteiligung am Kapital der Gesellschaft in den letzten fünf Jahren zu irgendeinem Zeitpunkt mindestens 1 % betrug. Dadurch, dass die für § 17 Abs. 1 EStG maßgebliche Beteiligungsgrenze durch das StEntlG von mindestens 25 % auf mindestens 10 % ab 1999 und schließlich durch das StSenkG ab 2002 auf lediglich 1 % abgesenkt wurde, hat mittelbar auch § 6 AStG eine entsprechende Verschärfung erfahren.[333] Mit dem ATAD-UmsG kommt eine Wegzugsbesteuerung in Betracht, wenn der Gesellschafter innerhalb der vorangehenden 12 Jahre insgesamt sieben Jahre in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtig war (vgl. § 6 Abs. 2 AStG).

 

Rz. 313

Der Gesellschafter, der beispielsweise mindestens 1 % der Anteile an einer inländischen GmbH hält, hat damit im Zeitpunkt der Aufgabe seiner unbeschränkten Steuerpflicht durch Wegzug in das Ausland grundsätzlich die Differenz zwischen den Anschaffungskosten und dem gemeinen Wert (vgl. § 6 Abs. 1 Satz 4 AStG) der Anteile im Zeitpunkt des Wegzugs der Einkommensteuer zu unterwerfen, ohne dass ihm – wie bei einer Veräußerung – entsprechende Liquidität zuflösse. Dieses Problem wird durch die Anwendung des Teileinkünfteverfahrens nach § 3 Nr. 40 EStG auch auf die Einkünfte nach § 6 AStG nur etwas entschärft.[334] Die Abgeltungssteuer gilt für die nach § 6 AStG i.V.m. § 17 EStG zu versteuernden Einkünfte nicht.

 

Rz. 314

Beispiel 1: A ist seit dem Jahr 1958 zu 5 % an der X-GmbH beteiligt. Er erwarb den Geschäftsanteil für umgerechnet 10.000 EUR. Nachdem die Gesellschaft sich seitdem sehr positiv entwickelt hat, beträgt der gemeine Wert der Anteile inzwischen 5,01 Mio. EUR. A plant, seinen Ruhestand in Spanien zu verbringen.

Zöge A tatsächlich (unter Aufgabe der unbeschränkten Steuerpflicht) nach Spanien, hätte er die stillen Reserven zu 60 % – also 3 Mio. EUR – zu versteuern.

 

Rz. 315

Darüber hinaus hält das AStG in § 6 Abs. 1 Satz 2 noch einige Ersatztatbestände bereit, die auch für andere Fälle der Beendigung der sog. Steuerverstrickung der Anteile als den Wegzug einen entsprechenden Besteuerungstatbestand schaffen. Das ist zum einen die Übertragung der Anteile durch ganz oder teilweise unentgeltliches Rechtsgeschäft unter Lebenden auf nicht unbeschränkt steuerpflichtige Personen (vgl. § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AStG).[335]

 

Rz. 316

Beispiel 2: A (siehe Beispiel 1) schenkt seinen Geschäftsanteil seiner in Großbritannien lebenden, in Deutschland nicht unbeschränkt steuerpflichtigen Tochter.

 

Rz. 317

Zu beachten ist in diesem Zusammenhang, dass die Finanzverwaltung diese Bestimmung auch dann anwenden will, wenn die Anteile (teil-)unentgeltlich auf eine in- oder ausländische Personengesellschaft übertragen werden, soweit an dieser Personen beteiligt sind, die nicht unbeschränkt steuerpflichtig sind.[336]

 

Rz. 318

Nach § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AStG reicht bereits die Begründung der Ansässigkeit nach einem DBA in einem ausländischen Staat durch Wohnsitznahme oder Schaffung eines gewöhnlichen Aufenthalts. Durch diesen Vorgang wird das Besteuerungsrecht hinsichtlich eines potenziellen Veräußerungsgewinns bezüglich der Anteile in den ausländischen Staat verlagert, ohne dass der inländische Wohnsitz oder gewöhnliche Aufenthalt und damit die unbeschränkte Einkommensteuerpflicht notwendigerweise aufgegeben würde.[337]

 

Rz. 319

Beispiel 3: A (siehe Beispiel 1) behält seine Wohnung in Deutschland bei und kehrt mehrmals im Jahr für kurze Zeit in diese zurück. Im Übrigen zieht er jedoch nach Spanien, wo er sich die meiste Zeit des Jahres aufhält und seinen neuen Lebensmittelpunkt begründet.

A ist zwar aufgrund seines Wohnsitzes weiterhin unbeschränkt steuerpflichtig in Deutschland. Allerdings ist er nunmehr nach dem DBA Deutschland–Spanien in Spanien ansässig, wodurch die Bundesrepublik das Besteuerungsrecht für einen Gewinn aus der Veräußerung der Geschäftsanteile verloren hätte. In diesem Fall greift § 6 Abs. 3 Nr. 2 AStG ein.

 

Rz. 320

Ähnlich ist der Fall des § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AStG gelagert. Auch wenn die Anteile in einen Betrieb oder eine Betriebsstätte des Gesellschafters in einem ausländischen Staat eingebracht werden, erfolgt danach eine Besteuerung der stillen Reserven im Einbringungszeitpunkt, wenn das Besteuerungsrecht der Bundesrepublik hinsichtlich eines eventuellen Veräußerungsgewinns aufgrund eines DBA ausgeschloss...

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