Einführung

"Denn nicht dazu nimmt der Richter seinen Sitz ein, das Recht nach Wohlwollen zu verschenken, sondern um das Urteil zu finden, und er hat geschworen, nicht gefällig zu sein."

Platon

A. Einleitung

 

Rz. 1

Hat der Erblasser keine ausreichende Vorsorge getroffen, um seine Erben in die Lage zu versetzen, sich bei den von ihm genutzten Diensten anzumelden (siehe hierzu noch § 9 und § 10), so müssen die Erben ggf. gerichtlich vorgehen. Das ist aber insbesondere dann schwierig, wenn die Anbieter ihren Sitz nicht in Deutschland haben. Es stellen sich dann mithin Fragen des Internationalen Privatrechts (IPR) sowie des Vorgehens in einem Gerichtsprozess.

 

Rz. 2

 

Beispiel

A hat in unserem Beispielsfall den E-Mail-Dienst eines US-amerikanischen Unternehmens benutzt, das eine Niederlassung in Deutschland betreibt. Die Zugangsdaten zu seinem E-Mail-Konto hat er nicht hinterlassen. L kann sich nicht einloggen und fragt deshalb unter Vorlage des auf sie lautenden Erbscheins schriftlich bei dem Anbieter nach, ob man das Passwort zurücksetzen und ein neues Passwort an eine von ihr angegebene E-Mail-Adresse versenden kann. Der Anbieter weigert sich und L erwägt Klage zu erheben.

Sie fragt sich, welches Gericht zuständig ist und welches Recht anzuwenden ist. Wie muss der Klageantrag formuliert werden?

Was gilt, wenn A das E-Mail-Konto sowohl zu beruflichen als auch zu privaten Zwecken verwendet hat; was, wenn er es allein zu privaten Zwecken verwendet hat?

B. Internationale Zuständigkeit nach europäischem IZPR

 

Rz. 3

Für Personen mit Wohnsitz in Deutschland oder einem anderen Mitgliedstaat der EU richtet sich die internationale Zuständigkeit grundsätzlich nach den Regeln der EuGVVO. Das gilt auch für Klagen der Erben aus vom Erblasser ererbten Forderungen, wenn der Erblasser seinen Wohnsitz in einem EU-Mitgliedstaat hatte. Nach Art. 1 Abs. 2 lit. f) EuGVVO ist diese zwar nicht auf erbrechtliche Ansprüche anwendbar. Allerdings geht es im vorliegenden Zusammenhang gerade nicht um originär erbrechtliche Ansprüche und damit nicht um den Anwendungsbereich der Eu-ErbVO, sondern vielmehr um aufgrund eines Erbfalls übergegangene Ansprüche. Der Erbgang allein ändert an der Anwendbarkeit der EuGVVO nichts.[1]

[1] Vgl. dazu Groll/Holzer, Praxis-Handbuch Erbrechtsberatung, Kap. XVII. Der digitale Nachlass, Rn 17, m.w.N.; ausf. Begründung jetzt auch bei Mankowski, ErbR 2016, 550 ff.

I. Zuständigkeit bei Verbrauchersachen (Art. 17 ff. EuGVVO)

 

Rz. 4

Hat der Erblasser als Verbraucher gehandelt (zur "gemischten Nutzung" siehe Rdn 8), so kann sich die Zuständigkeit aus den Art. 17 ff. EuGVVO ergeben. Diese Vorschriften sind in den uns vorliegend interessierenden Fällen des Vorgehens gegen Anbieter elektronischer Dienste nach Art. 17 Abs. 1 lit. c) und/oder Abs. 2 EuGVVO in der Regel deshalb anwendbar, weil die Dienstanbieter ihre Tätigkeiten auf einen EU-Mitgliedstaat ausgerichtet haben oder eine Niederlassung in einem EU-Mitgliedstaat betreiben.

Nach Art. 18 Abs. 1 EuGVVO hat der als Verbraucher handelnde Vertragspartner des jeweiligen Dienstanbieters dann das Recht, den Dienstanbieter sowohl an dessen Sitz als auch an seinem eigenen Wohnort zu verklagen. Für die Klage der Erben maßgeblich ist dabei nicht ihr Wohnort, sondern der Wohnort des Erblassers.[2]

Von diesen Regelungen kann zwar durch Parteivereinbarung abgewichen werden, allerdings nur in den sehr engen Grenzen des Art. 19 EuGVVO. Diese Ausnahmen[3] werden in den Fällen der Klage gegen im Ausland ansässige Anbieter digitaler Dienste meistens nicht greifen. Gerichtsstandsklauseln in AGB sind in diesen Fällen regelmäßig unwirksam.

 

Rz. 5

Für die Praxis gilt somit, dass regelmäßig am Gericht des Wohnorts des als Verbraucher handelnden Erblassers geklagt werden kann.[4] Das gilt auch für unseren Beispielsfall (Rdn 2) in der Variante, in der A das E-Mail-Konto allein zu privaten Zwecken genutzt hat. L kann den Anbieter dann also am Wohnort des A verklagen.

[2] Mankowski, ErbR 2016, 550, 553.
[3] Zulässig sind bei Verbraucherverträgen Vereinbarungen nach Entstehung der Streitigkeit, Vereinbarungen, die dem Verbraucher die Befugnis einräumen, andere als die in Art. 17–19 EuGVVO angeführten Gerichte anzurufen, oder Vereinbarungen zwischen einem Verbraucher und seinem Vertragspartner, die zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in demselben Mitgliedstaat haben, und die Zuständigkeit der Gerichte dieses Mitgliedstaats begründen, es sei denn, dass eine solche Vereinbarung nach dem Recht dieses Mitgliedstaats nicht zulässig ist.
[4] Das gilt auch dann, wenn die Parteivereinbarung den Gerichtsstand eines Nichtmitgliedsstaates vorsieht, vgl. Mankowski, ErbR 2016, 550, 554.

II. Zuständigkeit in anderen Fällen

 

Rz. 6

Hat der Erblasser nicht als Verbraucher gehandelt, so können Anbieter elektronischer Dienste vorbehaltlich etwaiger Sonderzuständigkeiten nach den Abschnitten 2 bis 7 der EuGVVO an dem sich aus Art. 4 i.V.m Art. 63 Abs. 1 EuGVVO ergebenden Gerichtsstand ihres Sitzes verklagt werden, wenn sich ihr satzungsmäßiger Sitz, ihre Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung in einem Mitgliedstaat befindet.[5] Grundsätzlich zulässig sind ...

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