1. Wechselbezüglichkeit und Bindungswirkung

 

Rz. 436

Hauptzweck des Ehegattentestaments ist es, dass die gemeinschaftlichen Verfügungen wechselbezüglich[474] angeordnet werden und dass diese dann nach dem Tod des Erstversterbenden gemäß § 2270 Abs. 1 BGB ganz oder teilweise Bindungswirkung entfalten. Ob zwischen Verfügungen von Ehegatten in einem gemeinschaftlichen Testament Wechselbezüglichkeit vorliegt, ist – sofern nicht eindeutig geregelt – nach allgemeinen Auslegungsgrundsätzen zu bestimmen.[475] Nach der Vermutungsregel des § 2270 Abs. 2 BGB ist eine Wechselbezüglichkeit jedoch im Zweifel anzunehmen, wenn sich die Ehegatten gegenseitig bedenken und für den Fall des Überlebens eine Verfügung zugunsten einer Person getroffen wird, die mit dem anderen Ehegatten verwandt ist oder ihm sonst nahe steht.

 

Rz. 437

Auf Ersatzerben ist die Vermutungsregel des § 2270 Abs. 2 BGB nur anwendbar, wenn sich Anhaltspunkte für einen auf deren Einsetzung gerichteten Willen der testierenden Ehegatten feststellen lassen, die Ersatzerbeneinsetzung also nicht allein auf der Auslegungsregel des § 2069 BGB beruht.[476]

 

Rz. 438

Eine Bindungswirkung kann jedoch nur hinsichtlich der wechselbezüglichen Verfügungen entstehen. Gemäß § 2270 Abs. 3 BGB beschränkt sich eine mögliche Wechselbezüglichkeit auf die Erbeinsetzung, Vermächtnisse, Auflagen und die Wahl des anzuwendenden Rechts. Wechselbezüglichkeit bedeutet, dass es sich um in ihrer Gültigkeit von einander abhängige Verfügungen handelt. D.h., dass jede Verfügung für sich nur mit Rücksicht auf die andere Verfügung getroffen worden ist.

Da es sich bei § 2270 Abs. 2 BGB um eine Auslegungsregel handelt, ist es für die testamentarische Gestaltung unabdingbar, diese ausdrücklich zu konkretisieren, damit es durch spätere Auslegung nicht zu einer vom Erblasserwillen abweichenden Rechtsfolge kommt. Da nur einzelne Verfügungen wechselbezüglich sein können[477] und nicht das gemeinschaftliche Testament insgesamt, ist eine exakte Formulierung im Testament zu empfehlen.

 

Rz. 439

Im Regelfall wird davon ausgegangen, dass die Verfügungen beider Ehegatten wechselbezüglich und bindend sein sollen. Es ist aber auch durchaus möglich, dass sich die Wechselbezüglichkeit nur auf die Verfügungen eines Ehegatten beziehen soll.[478]

 

Rz. 440

In der Praxis ist eine solche Gestaltungsvariante bspw. dann interessant, wenn das Vermögen einseitig bei nur einem Ehegattenteil vorhanden ist. Dieser hat dann ein großes Interesse daran, dass der überlebende Ehegatte im Falle seines Todes an die Verfügungen gebunden ist. Anders herum, wenn der nichtvermögende Ehegatte zuerst verstirbt, ist eine Bindung des Überlebenden im Regelfall nicht befriedigend, weil der Vorverstorbene dem Überlebenden nichts zukommen lässt, dieser aber dennoch in seiner Gestaltungsfreiheit eingeschränkt wird.

 

Rz. 441

Es ist somit im Testament klarzustellen, ob die Verfügungen beider Ehegatten wechselbezüglich und bindend sein sollen. Sollen die in einem gemeinschaftlichen Testament getroffenen Verfügungen nicht wechselbezüglich und nicht bindend sein, so ist dies, um die gesetzliche Vermutung des § 2270 Abs. 2 BGB nicht eintreten zu lassen, ausdrücklich in der Verfügung klarzustellen.

[474] Vgl. zur Wechselbezüglichkeit beim gemeinschaftlichen Testament Nieder, ZErb 2001, 120 und Basty, MittBayNot 2000, 73.
[475] OLG München NJW-RR 2007, 387, 388.
[477] BGH LM Nr. 2 zu § 2270.
[478] MüKo/Musielak, § 2270 Rn 3.

2. Änderungsvorbehalt bei der Einheitslösung

 

Rz. 442

Im Rahmen der Wechselbezüglichkeit und Bindungswirkung spielt die Frage eines Abänderungsrechts des überlebenden Ehegatten (Freistellungsklausel) eine große Rolle. In § 2270 Abs. 1 BGB ist es den Ehegatten freigestellt, ob sie ihre letztwilligen Verfügungen wechselbezüglich und bindend treffen wollen. Die Ehegatten können sich demnach auch das Recht einräumen, ihre Verfügungen nach dem ersten Erbfall ganz oder teilweise aufzuheben bzw. zu ändern.[479]

 

Rz. 443

Eine solche Freistellungs- bzw. Änderungsklausel hat den Vorteil, dass der nach dem Tod des Erstversterbenden gebundene Ehegatte die Möglichkeit hat, auf gewisse Änderungen im Leben der möglicherweise als Schlusserben eingesetzten Kinder zu reagieren.

 

Rz. 444

Die Ehegatten sind bei der Gestaltung der Freistellungsklausel hinsichtlich der Art und des Umfangs völlig frei. So kann sich die Änderungsbefugnis auf eine rein gegenständliche Abänderung, eine Quotenabänderung oder eine allgemeine Abänderung beschränken. Ebenso kann auch der Personenkreis, innerhalb dessen eine Änderung erfolgen kann, z.B. die gemeinschaftlichen Kinder, festgelegt werden. Nach einer Entscheidung des OLG Düsseldorf enthält die Erbeinsetzung gemeinsamer Kinder durch Ehegatten mit der Befugnis des Überlebenden, die Erbquoten der Kinder zu ändern, nicht auch die Ermächtigung des längerlebenden Ehegatten, die Erbquote eines Kindes auf null zu setzen, sofern nicht gegenteilige Anhaltspunkte vorliegen.[480]

Häufig besteht ein Änderungsvorbehalt auch darin, da...

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