Rz. 47

Von der Testierfähigkeit zu unterscheiden ist die Testierfreiheit des Mandanten. Diese kann beispielsweise dadurch eingeschränkt sein, dass der Mandant sich bereits durch einen Erbvertrag oder ein bindend gewordenes Ehegattentestament verpflichtet hat. Beim Vorliegen einer solchen bindenden Verfügung von Todes wegen sind alle späteren Verfügungen unwirksam, wenn sie der älteren widersprechen. Für den Erbvertrag ergibt sich dies aus § 2289 Abs. 1 S. 2 BGB, für das gemeinschaftliche Testament aus den §§ 2270, 2271 Abs. 1 S. 2 BGB.[77]

 

Rz. 48

Bei einem Ehegattentestament ist eine Bindungswirkung dann anzunehmen, wenn es sich um eine wechselbezügliche Verfügung handelt und der erste Todesfall eingetreten ist. Wechselbezüglichkeit ist anzunehmen, wenn die Verfügung des einen Ehegatten nicht ohne die des anderen getroffen worden wäre. Anders gesagt: der eine Ehegatte hat seine Verfügung gerade im Hinblick auf die Verfügung des anderen so bestimmt. Voraussetzung ist somit eine gegenseitige innere Abhängigkeit beider Verfügungen.[78] Gemäß § 2270 Abs. 3 BGB können jedoch in einem gemeinschaftlichen Testament nur die Erbeinsetzung, das Vermächtnis, die Auflage oder die Wahl des anzuwendenden Erbrechts wechselbezüglich und bindend sein.

 

Rz. 49

Ist in einem gemeinschaftlichen Testament die Wechselbezüglichkeit nicht ausdrücklich geregelt, so ist diese gemäß der Vermutungsregelung des § 2270 Abs. 2 BGB anzunehmen, wenn sich die Ehegatten gegenseitig bedenken oder wenn dem einen Ehegatten eine Zuwendung gemacht und für den Fall des Überlebens des Bedachten eine Verfügung zugunsten einer Person getroffen wird, die mit dem anderen Ehegatten verwandt ist oder ihm sonst nahe steht.[79]  [80]

 

Rz. 50

Stellt der Berater bei der Prüfung eine Bindungswirkung fest, dann ist in einem nächsten Schritt zu prüfen, ob die Bindungswirkung zum einen aufgehoben werden könnte, oder ob diese möglicherweise lückenhaft ist. Sieht das gemeinschaftliche Testament eine Abänderungsbefugnis des überlebenden Ehegatten vor, dann ist dies eine Einschränkung der Bindungswirkung, welche es dem Erblasser erlaubt, in diesem Rahmen auch neu zu testieren bzw. das vorhandene gemeinschaftliche Testament abzuändern.[81]

 

Rz. 51

Darüber hinaus stellt sich die Frage, inwieweit eine Bindungswirkung nachträglich beseitigt werden kann. Zunächst ist festzuhalten, dass die Bindungswirkung eines gemeinschaftlichen Testaments erst mit dem Tod des Erstversterbenden eintritt. Vor dem Tod ist jeder Ehegatte berechtigt, durch einseitigen notariellen Widerruf und Erklärung gegenüber dem anderen Ehegatten gemäß §§ 2271 Abs. 1 S. 1, 2296 BGB das Testament und somit seine Beschränkung der Testierfreiheit aufzuheben.[82] Dagegen entsteht die Bindungswirkung vertragsmäßiger Verfügungen bei einem Erbvertrag grundsätzlich bereits mit Abschluss des Erbvertrages.

 

Rz. 52

Sind sich die Ehegatten einig und wollen sie in Zukunft einzeln testieren, dann können sie auch in einem gemeinschaftlichen Widerrufstestament[83] die Ehegattenverfügung beseitigen. Vorsicht ist bei der Frage geboten, ob es reicht, wenn die Ehegatten ihr gemeinschaftliches Testament zerreißen. Es lässt sich später regelmäßig nur schwer beweisen, dass das Testament mit dem Willen beider Ehegatten zerrissen wurde. Der Ehegatte, der sich auf den gemeinsamen Widerruf durch Vernichtung des Testaments beruft, trägt hierfür die Beweislast.[84] Ein gemeinschaftlicher Widerruf in einem gemeinschaftlichen Testament ist daher dem Mandanten unbedingt anzuraten.

Durch Errichtung eines gemeinschaftlichen Testamentes kann auch ein zwischen Ehegatten oder Lebenspartnern geschlossener Erbvertrag aufgehoben werden, § 2292 BGB. Darüber hinaus können gem. § 2291 BGB erbvertraglich getroffene Verfügungen, durch die ein Vermächtnis oder eine Auflage angeordnet ist, von dem Erblasser durch Testament aufgehoben werden, wenn der Vertragspartner in notarieller Form seine Zustimmung erklärt.

 

Rz. 53

Mit dem Tod des vorversterbenden Ehegatten tritt grundsätzlich bei wechselbezüglichen testamentarischen Verfügungen die Bindungswirkung ein. Ab diesem Zeitpunkt hat der überlebende Ehegatte nicht mehr das Recht bzw. die Möglichkeit, durch einseitige Verfügung die Wechselbezüglichkeit zu beseitigen. Der überlebende Ehegatte kann sich von der Bindungswirkung nur dann lösen, wenn er, wie in § 2271 Abs. 2 S. 1 Hs. 2 BGB vorgesehen, die ihm zugedachte Erbeinsetzung ausschlägt oder wenn er im Rahmen einer Selbstanfechtung gemäß den §§ 2078, 2079 BGB die Unwirksamkeit der Verfügung herbeizuführen versucht. Nach Ansicht des BGH[85] greift § 2271 Abs. 2 S. 1 BGB nicht nur dann ein, wenn der überlebende Ehegatte zum Erben benannt wurde, sondern auch, wenn er mit einem Vermächtnis bedacht wird und dieses ausschlägt.

 

Rz. 54

Handelt der überlebende Ehegatte mit Zustimmung des Vertragserben, dann beseitigt dies ebenfalls die Bindungswirkung.[86] Soll ein Anspruch des Vertragserben aus § 2287 BGB im Hinblick auf eine gegen die Bindungswirkung verstoßende lebzeitige...

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