a) Allgemeines
Rz. 250
Grundsätzlich ist es dem Erblasser nicht möglich, seine pflichtteilsberechtigten Verwandten zu übergehen. Der Schutz des Pflichtteilsrechts steht den nächsten Angehörigen jedoch nicht uneingeschränkt zu. Seit Inkrafttreten des Gesetzes zur Änderung des Erb- und Verjährungsrechts am 1.1.2010 differenziert das BGB nicht mehr zwischen der Pflichtteilsentziehung zu Lasten von Abkömmlingen, Eltern und Ehegatten, vgl. § 2333 Abs. 1, 2 BGB.[277] Die Pflichtteilsentziehungsgründe wurden an veränderte Wert- und Moralvorstellungen angepasst.
b) Entziehung wegen Lebensnachstellung (§ 2333 Abs. 1 Nr. 1 BGB)
Rz. 251
Der Erblasser kann den Pflichtteil entziehen, wenn der Pflichtteilsberechtigte dem Erblasser, dem Ehegatten des Erblassers, einem Abkömmling oder einer dem Erblasser ähnlich nahe stehenden Person nach dem Leben trachtet. Dies ist dann der Fall, wenn der ernsthafte Wille betätigt wird, den Tod des anderen herbeizuführen, wobei ein einmaliger Versuch genügt. Beharrlichkeit ist nicht erforderlich. Hierbei genügt auch Beihilfe oder Anstiftung.[278]
c) Entziehung wegen Verbrechen oder schwerem vorsätzlichem Vergehen (§ 2333 Abs. 1 Nr. 2 BGB)
Rz. 252
Das Gleiche gilt, wenn der Pflichtteilsberechtigte sich eines Verbrechens oder eines schweren vorsätzlichen Vergehens gegen eine der in § 2333 Abs. 1 Nr. 1 BGB bezeichneten Personen schuldig macht. Ob ein vorsätzliches Vergehen "schwer" ist, ist anhand der jeweiligen Umstände des Einzelfalls zu beurteilen. Das Fehlverhalten muss für den Erblasser unzumutbar sein.[279]
d) Entziehung wegen Unterhaltspflichtverletzung (§ 2333 Abs. 1 Nr. 3 BGB)
Rz. 253
Die Entziehung des Pflichtteils ist auch dann möglich, wenn der Pflichtteilsberechtigte die ihm gegenüber dem Erblasser gesetzlich obliegende Unterhaltspflicht böswillig verletzt. Hierzu muss dem Pflichtteilsberechtigten verwerfliches Handeln in Kenntnis von Unterhaltspflicht und eigener Leistungsfähigkeit vorzuwerfen sein.[280] Da Unterhalt grundsätzlich nur als Geldleistung geschuldet wird, kann die Pflichtteilsentziehung nicht auf die Versagung persönlicher Pflege im Krankheitsfall gestützt werden.[281]
e) Entziehung wegen rechtskräftiger Verurteilung (§ 2333 Abs. 1 Nr. 4 BGB)
Rz. 254
Als weiteren Entziehungsgrund nennt § 2333 Abs. 1 Nr. 4 BGB die rechtskräftige Verurteilung wegen einer vorsätzlichen Straftat zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr ohne Bewährung, wenn deshalb die Teilhabe des Pflichtteilsberechtigten am Nachlass für den Erblasser unzumutbar ist.[282] Gleiches gilt nach § 2333 Abs. 1 Nr. 4 S. 2 BGB, wenn die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder in einer Entziehungsanstalt wegen einer ähnlich schwerwiegenden vorsätzlichen Tat rechtskräftig angeordnet wird. Da dieser Fall auf ein schweres sozialwidriges Fehlverhalten abstellt, braucht sich die Tat nicht gegen den Erblasser, seine Familie oder eine ihm ähnlich nahestehende Person zu richten.[283]
f) Die Form der Entziehung
Rz. 255
Die Pflichtteilsentziehung erfolgt durch letztwillige Verfügung, § 2336 Abs. 1 BGB. Außerdem muss der Grund der Entziehung zur Zeit der Errichtung des Testamentes bestehen und in der Verfügung hinreichend konkret angegeben werden, § 2336 Abs. 2 S. 1 BGB. Die Gründe können schon länger zurückliegen, sie dürfen jedoch nicht lediglich in der Zukunft liegen. Im Einzelnen ist der den gesetzlichen Tatbestand ausfüllende Kernsachverhalt anzugeben.[284]
Rz. 256
Formulierungsbeispiel: Pflichtteilsentziehung gemäß § 2333 Abs. 1 Nr. 1 BGB
Meinem Sohn (...) entziehe ich hiermit den Pflichtteil aus folgendem Grund:
Mein Sohn (…) hat am 22.8.2011 versucht mich zu töten, indem er mir mit den Worten "Jetzt bringe ich Dich um" eine volle Weinflasche auf den Kopf schlug. Der Vorfall ereignete sich in meinem Garten. Das Ermittlungsverfahren wegen versuchten Totschlags wird bei der Staatsanwaltschaft (…) unter dem Az. (…) geführt.
Möglich ist auch eine Entziehung für den Fall, dass ein vom Erblasser vermuteter, aber noch nicht sicher feststehender Entziehungsgrund vorliegt.
Rz. 257
Formulierungsbeispiel: Pflichtteilsentziehung für den Fall, dass ein vom Erblasser vermuteter, aber noch nicht sicher feststehender Entziehungsgrund vorliegt
Ich habe den dringenden Verdacht, dass der Mordversuch, der am (...) in (...) auf mich verübt wurde, von meinem Sohn (...) geplant und mit ausgeführt wurde. Sollte sich dieser Verdacht durch die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen bestätigen, so entziehe ich hiermit meinem Sohn den Pflichtteil.
Rz. 258
Das Pflichtteilsentziehungsrecht erlischt bzw. die Pflichtteilsentziehung wird unwirksam durch Verzeihung, § 2337 BGB. Diese ist grundsätzlich unwiderruflich. Unter Verzeihung ist der Ausdruck des Versöhnungswillens gegenüber dem Schuldigen zu verstehen, d.h. die Absicht, aus der Verfehlung keinerlei Nachteile mehr für den Schuldigen...
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