Rz. 72

Gerade diese gesetzlichen Neuregelungen sind aber nicht so eindeutig. Deshalb sah sich der Gesetzgeber veranlasst, "klarstellende Regelungen zur Berechnung des Punktestandes zu erlassen".[53] Besonders erstaunlich sind die Änderungen des Vorhabens, die nach Verabschiedung und kurz vor Inkrafttreten eingeführt worden sind:[54] Hier ist mit der 10. Verordnung zur Änderung der Fahrerlaubnis-Verordnung (BGBl I S. 348) noch eine rasche Heraufsetzung erfolgt, die bei Rotlichtverstößen die Radfahrer (lfd. Nr. 132a BKat) vorsehen, um die Eintragungsgrenze entgegen der ursprünglichen Begründung nun doch zu erreichen.

 

Rz. 73

Auch der Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes und des Bundeszentralregistergesetzes (Stand: 25.7.2014) führte zu einer Ablehnung durch den DAV-Verkehrsrechtsausschuss in einer Stellungnahme.[55] Der Entwurf befasste sich mit dem Problem, dass der Verkehrsteilnehmer nach dem Erreichen der 5-Punkte-Schwelle weitere Verkehrsverstöße begeht, die zwischen der Begehung des Vergehens, das eine Maßnahme auslöst, und der Bekanntmachung der Maßnahme liegen.

Mit der Neuregelung geht der Gesetzgeber davon aus, dass es im Einzelfall überhaupt keiner Ermahnung oder Verwarnung vor dem Entzug der Fahrerlaubnis bedarf. Gleichzeitig wurde im Zusammenhang mit der vorangegangen Reform des Punktsystems die Zahl der zum Fahrerlaubnisentzug notwendigen Verstöße verringert und der Zeitraum, in dem diese zur Anrechnung gelangen, verlängert.

Die Neuregelung – als Klarstellung (?!) gemeint – wahrt jedoch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht mehr, wenn einem Verkehrsteilnehmer ohne jede vorherige Warnung die Fahrerlaubnis alleine wegen der Ansammlung von Punkten entzogen wird. Zudem ist zu berücksichtigen, dass ja gerade die Stufenregelung beinhalten sollte, dass der Verkehrsteilnehmer sich eines Besseren besinnt, weil er die entsprechenden Warnungen erhalten hat.

Mit der Neuregelung geht der Gesetzgeber aber wohl davon aus, dass es im Einzelfall überhaupt keiner Ermahnung oder Verwarnung vor dem Entzug der Fahrerlaubnis bedarf. Gleichzeitig wurde im Zusammenhang mit der vorangegangen Reform des Punktsystems die Zahl der zum Fahrerlaubnisentzug notwendigen Verstöße verringert und der Zeitraum, in dem diese zur Anrechnung gelangen, verlängert.

Nachfolgendes Beispiel[56] soll zeigen, dass mit der jetzigen Regelung ein Entzug der Fahrerlaubnis ohne vorherige Warnung möglich ist:

Ein Autofahrer, der mit drei Punkten aus früheren Jahren vorgeahndet ist, fährt am Sonntagvormittag auf einer innerstädtischen Schnellstraße, die auf 50 km/h beschränkt ist, 31 km/h zu schnell. Bis der Bußgeldbescheid rechtskräftig wird, begeht er im Kolonnenverkehr auf der Autobahn einen Abstandsverstoß mit weniger als 3/10 des halben Tachowerts bei 102 km/h. Bevor Ermahnung oder Verwarnung ergriffen werden können, benutzt er ein Mobiltelefon während des Fahrens. Gegen den letzten Bußgeldbescheid wehrt er sich und wird vom Gericht verurteilt. Jetzt erhält er die Ermahnung (ausgelöst vom Geschwindigkeitsverstoß), kurze Zeit später (nach dem Eingang der Mitteilung) die Verwarnung (ausgelöst von der Abstandsunterschreitung) und schließlich den Entzug der Fahrerlaubnis, nachdem nunmehr die Mitteilung vom Gericht eingeht.

Es ist geradezu beliebig, ob ein Verkehrsverstoß mit Punkten bewertet wird oder nicht. Die Neufassung des § 4 Abs. 6 StVG stellt darauf ab, wann der Behörde der Verstoß bekannt wird und knüpft daran die weiteren Konsequenzen. Dies liegt außerhalb der Sphäre des Betroffenen, zumal länderspezifische Unterschiede auftreten werden.

Schließlich ist der Begriff der Bekanntmachung unscharf, da nicht nachvollziehbar ist, ob mit Bekanntwerden die amtliche Information durch die Behörde, die den Verkehrsverstoß ahndete, gemeint ist, oder ob auch der Betroffene durch eine formlose Information der Fahrerlaubnisbehörde – etwa durch Übersendung des rechtskräftigen Bußgeldbescheids – der Behörde weitere Verstöße bekannt machen kann. In der Folge wäre der Betroffene quasi selbst gehalten, die rechtskräftigen Bescheide der Behörde zu übermitteln.

 

Rz. 74

Zum 5.12.2014 wurde das Berechnungsverfahren durch das Gesetz zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes, der Gewerbeordnung und des Bundeszentralregistergesetzes vom 28.11.2014 durch eine Abweichung vom Tattagprinzip erheblich kompliziert, weil die Neuregelung des § 4 Abs. 5 und 6 StVG zu anderen Berechnungsgrundlagen zwingen: Bei der Berechnung des Punktestandes können Zuwiderhandlungen nun berücksichtigt werden – selbst wenn bei Anwendung des Tattagprinzips nach deren Begehung bereits Maßnahmen ergriffen wurden (§ 4 Abs. 5 S. 5 und 6 StVG):

Zitat

5Sie hat für das Ergreifen der Maßnahmen nach Satz 1 auf den Punktestand abzustellen, der sich zum Zeitpunkt der Begehung der letzten zur Ergreifung der Maßnahme führenden Straftat oder Ordnungswidrigkeit ergeben hat.

6Bei der Berechnung des Punktestandes werden Zuwiderhandlungen

1. unabhängig davon berücksichtigt, ob nach deren B...

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