Rz. 11

Das ENZ ist mit mehreren Wirkungen versehen:

Das Zeugnis dient dem Nachweis der Stellung als Erbe bzw. dinglicher Vermächtnisnehmer, der Zuweisung eines bestimmten Vermögenswertes oder der Befugnisse als Testamentsvollstrecker bzw. Nachlassverwalter, Art. 63 Abs. 2 EuErbVO (Beweiswirkung).
Es wird bis zum Beweis des Gegenteils vermutet, dass das ENZ diese Umstände[5] zutreffend ausweist, Art. 69 Abs. 2 S. 1 EuErbVO (Beweisfunktion).[6]
Ferner wird vermutet, dass die Person, die im Zeugnis als Erbe oder Testamentsvollstrecker genannt ist, diese Rechtsstellung hat, Art. 69 Abs. 2 S. 2 EuErbVO (Legitimationswirkung).
Wer gutgläubig an eine im ENZ als zur Entgegennahme der Leistung bezeichnete Person leistet, wird von seiner Verbindlichkeit frei, Art. 69 Abs. 3 EuErbVO. Wer von der Person, die im ENZ als Erbe, Vermächtnisnehmer, Testamentsvollstecker oder Nachlassverwalter genannt ist, Nachlassgegenstände erwirbt, kann gutgläubig erwerben, Art. 69 Abs. 4 EuErbVO (Gutglaubenswirkung).
 

Rz. 12

Diese Wirkungen sind aus dem deutschen Erbscheinsrecht bekannt. Eine Abweichung zum deutschen Recht ergibt sich aber daraus, dass Legitimations- und Gutglaubenswirkung nicht erst bei "positiver" Kenntnis der Unrichtigkeit (so § 2366 BGB), sondern schon bei grob fahrlässiger Unkenntnis der Unrichtigkeit entfallen (Art. 69 Abs. 3 und 4 EuErbVO). Ob sich diese Abweichung in der Praxis in einer erheblichen Anzahl von Fällen auswirkt, muss sich noch zeigen.

 

Rz. 13

Insoweit könnte man im deutschen Rechtsverkehr daran denken, das ENZ wegen seiner schwächeren Schutzwirkungen[7] zurückzuweisen und sicherheitshalber auf der Vorlage eines BGB-Erbscheins zu bestehen.[8] Bei Ausstellung des ENZ durch ein deutsches Gericht könnte man dazu auf Art. 62 Abs. 3 S. 1 EuErbVO verweisen, wonach das ENZ nicht an die Stelle der innerstaatlichen Erbnachweise tritt. Nach Ausstellung eines ENZ zur Verwendung im Ausland entfaltet das ENZ seine Beweis- und sonstigen Wirkungen gem. Art. 62 Abs. 3 S. 2, 69 EuErbVO aber auch im Inland. Das ENZ kann gem. Art. 63 Abs. 2 lit. a EuErbVO zum Nachweis der Rechte jedes Erben verwandt werden und stellt gem. Art. 63 Abs. 5 EuErbVO ein wirksames Schriftstück zur Eintragung in ein Register dar. Aus EG 69 S. 3 EuErbVO ergibt sich, dass eine Person, der ein in einem anderen Mitgliedstaat ausgestelltes ENZ vorgelegt wird, die Vorlage weiterer Nachweise nicht verlangen kann.[9] Daraus ergibt sich im Umkehrschluss, dass allein bei Vorlage eines im Inland ausgestellten ENZ jemand auf der Vorlage eines BGB-Erbscheins bestehen darf.

 

Rz. 14

Ist das ENZ dagegen in einem anderen Mitgliedstaat ausgestellt worden, so würde ein Recht auf Zurückweisung des ENZ nicht nur dem Sinn von Art. 62, 69 EuErbVO widersprechen. Sind nach den Art. 4 ff. EuErbVO die Behörden eines anderen Mitgliedstaates international zuständig, so fehlt den deutschen Nachlassgerichten schon die internationale Zuständigkeit.[10] Daher kann ein BGB-Erbschein schon mangels Zuständigkeit eines deutschen Gerichts für seine Erteilung nicht mehr ausgestellt werden.[11]

[5] Die deutsche Sprachfassung spricht hier ungeschickt von "Sachverhalten", obgleich es sich nicht um den Sachverhalt im eigentlichen Sinn, sondern um Rechtsfolgen handelt. Klarer die englische Version ("elements") bzw. die französische ("éléments").
[6] Vgl. die Differenzierung bei Steiner, Österreichische Notariatszeitung (NZ) 2012, 112.
[7] Dazu, dass die Schutzwirkungen des ENZ effektiv weiter gehen als bei dem deutschen Erbschein, siehe Rdn 18.
[8] Dazu Buschbaum/Simon, ZEV 2012, 528.
[9] A.A. Buschbaum, in: Hager, Die neue europäische Erbrechtsverordnung, S. 63.
[10] A.A. Dörner, ZEV 2012, 512, der darauf hinweist, dass die Zuständigkeit zur Ausstellung nationaler Zeugnisse auch bei internationalen Sachverhalten unberührt bleibe und die deutschen Nachlassgerichte weiterhin Fremdrechtserbscheine ausstellen könnten. So auch Buschbaum, in: Hager, Die neue europäische Erbrechtsverordnung, S. 57.
[11] So nun der EuGH in der Rechtssache "Oberle", EuGH, Urt. v. 21.6.2018 – C-20/17, ZErb 2018, 238 = DNotZ 2018, 699; dazu Weber, RNotZ 2018, 454.

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