Rz. 15

Wer sich auf den Schutz des guten Glaubens beruft, muss gem. Art. 69 Abs. 3 und 4 EuErbVO "auf der Grundlage der in dem Zeugnis enthaltenen Angaben" gehandelt haben. Ihm muss also der Inhalt des ENZ – z.B. über eine von der Behörde ausgestellte Abschrift – bekanntgemacht worden sein (konkreter Gutglaubensschutz). Nach der Rechtsprechung zum BGB-Erbschein hingegen genügt es für den Gutglaubensschutz, dass ein entsprechender Erbschein überhaupt ausgestellt worden ist (abstrakter Gutglaubensschutz).[12]

 

Rz. 16

Unklar bleibt dabei, was im Einzelnen Träger des guten Glaubens sein soll. Art. 69 Abs. 3, 4 EuErbVO verlangt ein Handeln "auf der Grundlage der in dem Zeugnis enthaltenen Angaben". Nachdem das Zeugnis in den Nachlassakten verbleibt (siehe Rdn 39), wird ein Handeln aufgrund eigener unmittelbarer Einsichtnahme in das ENZ praktisch kaum vorkommen. Vielmehr wird der Inhalt des ENZ Dritten regelmäßig erst durch die vom Nachlassgericht ausgestellten Abschriften zugänglich gemacht werden. Da eine Abschrift nach Widerruf des Zeugnisses nicht eingezogen wird (siehe Rdn 43), kann es vorkommen, dass diese auch schon vor Ablauf des Verfallsdatums mit dem Inhalt der Urschrift des Zeugnisses nicht mehr übereinstimmt. Der Dritte, der sich auf die Richtigkeit verlässt, handelt dann nicht mehr auf der Basis "der in dem Zeugnis enthaltenen Angaben", sondern auf der Basis der Angaben in der Abschrift. Folge wäre, dass nur der den vollen Schutz seines guten Glaubens erhielte, der sich eine aktuelle Abschrift vorlegen lässt. Das entspricht der Situation beim Handelsregisterauszug. Freilich sind die nachlassgerichtlichen Akten anders als das Handelsregister nicht öffentlich einsehbar. Auch würde die Angabe des sechsmonatigen "Verfallsdatums" keinen Sinn machen, wenn die Abschriften schon vorher mit Widerruf oder der Änderung des ENZ ihre Gutglaubenswirkungen verlören.[13] Man wird die Klausel wohl dahingehend auslegen müssen, dass es für den Dritten auf den Inhalt des ENZ an dem Tag ankommt, an dem die Abschrift erstellt wurde, auf deren Grundlage er gehandelt hat. Er kann sich dann also auf die Abschrift verlassen, solange das Gültigkeitsdatum noch nicht verstrichen ist.

 

Rz. 17

Aus dieser Auslegung lässt sich auch die Frage beantworten, wie bei einander widersprechenden ENZ zu verfahren ist: Auf der Basis der EuErbVO ergibt sich die Zuständigkeit der Behörden eines einzigen Staates, so dass eine konkurrierende Zuständigkeit der Behörden mehrerer Länder, die gegensätzlich entscheiden könnten, grundsätzlich ausscheidet. Unterschiedliche Ansichten bei der Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts i.S.v. Art. 4 EuErbVO können aber in Einzelfällen dazu führen, dass Behörden mehrerer Staaten in demselben Fall ihre Zuständigkeit zur Ausstellung eines ENZ bejahen.[14] Weitaus wahrscheinlicher ist freilich das Kursieren einander widersprechender Abschriften nach einer Änderung des ENZ, da nach Widerruf des ENZ keine Einziehung der Abschriften des widerrufenen ENZ vorgesehen ist (siehe Rdn 41).[15]

 

Rz. 18

Legt man den Wortlaut des Art. 69 Abs. 3 EuErbVO dahin aus, dass der Gutglaubensschutz an die Vorlage einer entsprechenden Abschrift gebunden ist, führt das Kursieren der Abschriften mehrerer ENZ zu einander widersprechenden Gutglaubenstatbeständen.[16] Weiß der Dritte von einem abweichenden ENZ, dürfte er grob fahrlässig handeln, wenn er sich auf die Abschrift eines widerrufenen ENZ verlässt. Da beim BGB-Erbschein hingegen der Gutglaubensschutz bereits mit dem Erlass eines abweichenden Erbscheins erlöschen kann, geht der Gutglaubensschutz bei Vorlage der Abschrift eines ENZ in diesem Falle also weiter als nach BGB. Das Risiko der Unrichtigkeit des ENZ wird so nicht dem Dritten, sondern den Nachlassbeteiligten auferlegt, die durch Mitwirkung im Verfahren den Erlass eines unrichtigen ENZ verhindern können.[17]

[12] Der Dritte muss vom Vorhandensein des Erbscheins nicht einmal Kenntnis gehabt haben, Lange/Kuchinke, Erbrecht, 5. Aufl. 2001, § 39 VII 1, S. 1031 unter Verweisung auf BGH v. 13.6.1990 – IV ZR 241/89, DNotZ 1991, 545.
[13] So Buschbaum/Simon, ZEV 2012, 527.
[14] Freilich dürfte regelmäßig die notwendige Beteiligung aller Berechtigten und Beteiligten (Art. 66 Abs. 4 EuErbVO) ausschließen, dass beide Verfahren enden, ohne dass ein Gericht von dem anderen Verfahren Kenntnis erlangt.
[15] Unabhängig davon könnte sich bei internationaler Zuständigkeit allein der deutschen Nachlassgerichte ein Tätigwerden mehrerer Gerichte bei mehrfachem Wohnsitz in Deutschland ergeben, § 343 Abs. 1 FamFG, § 7 BGB. Bei Übertragung der Zuständigkeit auf Notare ergäbe sich ebenfalls eine konkurrierende Zuständigkeit der Notare, selbst dann, wenn nur die Notare am letzten Wohnsitz des Erblassers zuständig sein sollten.
[16] Beim BGB-Erbschein heben, sobald Erbscheine widersprechenden Inhalts ausgestellt worden sind, nach in Deutschland überwiegender Ansicht die Wirkungen sich gegenseitig auf, soweit der Widerspruch reicht, BGH DNotZ 1991, 545; Palandt/...

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