Rz. 101

Die Bewertung nach Billigkeit kommt nur dann in Betracht, wenn weder die unmittelbare noch die zeitratierliche Bewertung zu einem Ergebnis führt, das der Halbteilung entspricht (§ 42 Vers­AusglG). Die Regelung bedeutet, dass das FamG (und natürlich auch die Anwälte der Beteiligten) bei den anderen gesetzlichen Bewertungsregeln jeweils prüfen muss, ob sie zu einer Bewertung und damit auch zu einer Aufteilung der Anrechte führen, welche nicht mit dem Gedanken der hälftigen Teilung zu vereinbaren sind.

 

Rz. 102

Aus der Subsidiarität der Bewertung nach Billigkeit folgt, dass in jedem Fall erst die Auskünfte usw. genauso eingeholt werden, wie in den anderen Fällen auch. Die Bewertung muss zunächst auf die herkömmliche Bewertungsweise nach § 39 und § 40 VersAusglG versucht werden. Erst danach kann kontrolliert werden, ob diese Bewertung zu Ergebnissen führt, welche korrigiert werden müssen. Dabei ist – wie im heutigen Versorgungsausgleich überall – nun streng anrechtsbezogen vorzugehen. Es kommt darauf an, ob der Halbteilungsgrundsatz bei einem einzelnen Anrecht verletzt wird, nicht darauf, ob er bei einer Gesamtsaldierung verletzt wird.[30] Ist die Verletzung des Halbteilungsanspruchs auf Teile eines Anrechts begrenzt, weil die Bewertung von verschiedenen Teilen eines Anrechts in unterschiedlicher Weise erfolgt, dann ist die Korrektur mithilfe des § 42 VersAusglG auch nur auf die Teile des Anrechts begrenzt, bei denen die entsprechende Verletzung besteht.[31]

 

Rz. 103

 

Hinweis

Relevant ist die Bewertung nach Billigkeit, wenn

das auszugleichende Anrecht von den im Gesetz aufgeführten sonstigen Bewertungsmethoden nicht erfasst wird,
die bei der Bewertung typisierende Betrachtung ausnahmsweise im Einzelfall zu einem von der Halbteilung abweichenden Ergebnis führt oder
Unsicherheiten über die Qualität des auszugleichenden Anrechts bestehen (etwa, weil es sich um ausländische Anrechte handelt oder die Zahlungsfähigkeit des Versorgungsträgers ungeklärt ist).
 

Rz. 104

Wie Ruland[32] bereits anschaulich dargestellt hat, sind die Anwendungsfälle des § 42 VersAusglG wegen des Nichteingreifens der sonstigen Bewertungsgrundsätze absolute Ausnahmefälle. Die heutige Art des Ausgleichs ermöglicht einen dem Halbteilungsprinzip entsprechenden Ausgleich in sehr vielen Fällen, in denen im früheren Recht auf eine Billigkeitskorrektur der Bewertung (vgl. § 1587a Abs. 5 BGB a.F.) zurückgegriffen werden musste, sodass insoweit eine Anwendung des § 42 VersAusglG nicht erforderlich ist. Das gilt v.a. etwa für den Ausgleich des Ehrensoldes für Ehrenbeamte (ehrenamtliche Bürgermeister) in vielen süddeutschen Bundesländern, die heute einfach zeitratierlich bewertet werden können.[33] In den meisten Fällen wird diesem Ehrensold allerdings die Eigenschaft einer Altersversorgung fehlen, sodass er im Versorgungsausgleich ohnehin nicht zu berücksichtigen ist (siehe oben § 4 Rdn 17).

 

Rz. 105

Die Korrektur von Einzelfall-Ungerechtigkeiten bei der Bewertung ist ebenfalls auf absolute Ausnahmen beschränkt. Zu denken ist in erster Linie an den Fall, dass sich die Stichtage für die Ehegatten unterschiedlich auswirken oder dass bei Beamtenversorgungen bei an sich vergleichbaren Versorgungen wegen einer unterschiedlichen Ehezeitbetroffenheit die Auswirkungen des Versorgungsausgleichs in deutlicher Weise unterschiedlich sind.

 

Rz. 106

 

Beispiel

M und seine Frau F waren 30 Jahre verheiratet. Sie sind beide im Ruhestand. Sie waren beide beamtete Lehrer, ihre Versorgung (ohne den Versorgungsausgleich) wäre in etwa gleich hoch. Allerdings ist M zehn Jahre älter als F, sodass von seiner Versorgung nur 20 Jahre in der Ehezeit erworben wurden, während die Versorgung von F komplett in der Ehezeit erworben wurde. Durch die zeitratierliche Bewertung der Versorgung (§ 40 VersAusglG) käme es hier dazu, dass F von ihrer Versorgung deutlich mehr verlöre als M. Das wäre ein offensichtlich unbilliges Ergebnis. Es ist deswegen über eine Bewertung nach Billigkeit über § 42 VersAusglG zu korrigieren.[34]

 

Rz. 107

Außerdem kommen Fallgestaltungen in Betracht, in denen die Regelungen des Versorgungsträgers einer privaten oder betrieblichen Versorgung nicht den Anforderungen des § 11 Abs. 1 VersAusglG entsprechen. Zum Ausgleich dieses Defizits kann das FamG eine Bewertung nach Billigkeit vornehmen (was es auch muss, da eine andere Bewertungsmöglichkeit wegen der Unbeachtlichkeit der Regelung ja gerade nicht zur Verfügung steht).

 

Rz. 108

 

Beispiel

Der Versorgungsträger hat für die Teilung eines Anrechts auf einer Versorgung wegen Alters und Invalidität vorgesehen, dass der Ausgleichsberechtigte nur ein Anrecht auf eine Versorgung wegen Alters erhalten soll. Der dafür vorgesehene Ausgleichswert ist aber nicht in angemessener Weise erhöht (zu den Einzelheiten siehe unten § 8 Rdn 275 ff.).

 

Rz. 109

Alle Fälle, in denen eine Unbilligkeit nicht auf der Verletzung des Halbteilungsgrundsatzes, sondern auf anderen Gründen beruht, sind nicht über § 42 VersAusglG, sondern über § 27 Vers­Aus...

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