1. Verfassungsmäßigkeit

 

Rz. 36

Die vorläufige Entziehung ist auch in Ansehung der dem Betroffenen dadurch drohenden Nachteile verfassungsgemäß (BVerfG DAR 1998, 466); jedoch muss im Einzelfall der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachtet werden. Ob die Maßnahme im Fall einer lang andauernden vorläufigen Entziehung noch verhältnismäßig ist, unterliegt alleine der fachgerichtlichen Beurteilung (BVerfG DAR 2000, 565). Das Verfassungsgericht hat demgemäß eine Verfassungsbeschwerde gegen eine vorläufige Entziehung wegen Unfallflucht nicht zur Entscheidung angenommen (Beschl. v. 8.11.2017 – 2 BvR 2129/16).

 

Rz. 37

 

Tipp

Zur verneinten Verhältnismäßigkeit einer vorläufigen Entziehung siehe LG Zweibrücken zfs 2000, 510.

2. Endgültige Entziehung höchstwahrscheinlich

 

Rz. 38

Zuverlässigkeitsvoraussetzung ist auch hier, dass eine endgültige Entziehung zu erwarten ist.

 

Rz. 39

 

Tipp: Ausnahme von der vorläufigen Entziehung

Die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis ist nur zulässig, wenn – und soweit – zu erwarten ist, dass die Entziehung im Urteil erfolgt. Ist also davon auszugehen, dass das Urteil eine Ausnahme von der Sperre zulassen wird (§ 69a Abs. 2 StGB), darf (und muss auf Antrag hin) bereits von der vorläufigen Entziehung eine Ausnahme gemacht werden (§ 111a Abs. 1 S. 2 StPO). Zu den Einzelheiten vgl. Ausführungen unten (siehe § 58 Rdn 8 ff.).

3. Nur als Sofortmaßnahme

 

Rz. 40

Ein Beschluss nach § 111a StPO ist nur als Sofortmaßnahme zulässig. Ist bereits längere Zeit seit der Tat vergangen, z.B. viereinhalb (LG Tübingen zfs 1998, 484), fünf (LG Saarbrücken zfs 1996, 153; LG Zweibrücken MittBl 2002, 105; LG Mannheim zfs 2003, 208; LG Köln bei Himmelreich/Lessing, NStZ 2002, 304) oder sechs (LG Frankfurt DAR 2012, 275) bzw. sechseinhalb Monate (LG Lüneburg zfs 2004, 38; LG Frankfurt DAR 2005, 109), spätestens aber nach acht (LG Saarbrücken zfs 2007, 470), neun Monaten (LG Koblenz BA 55, 80 [2018]), spätestens nach einem Jahr (LG Bonn, NZV 2010, 214) bzw. 16 Monaten (LG Hannover zfs 2016, 469) ist ein vorläufiger Entziehungsbeschluss entgegen OLG Hamm (zfs 2002, 199) oder OLG Koblenz (NZV 2008, 47 bzw. KG Beschl. v. 8.2.2017 – 3 Ws 39/17, juris) nicht mehr zulässig.

Vergleichbares gilt, wenn eine gegen die vorläufige Entziehung eingelegte Beschwerde dem Landgericht erst nach fünf Monaten vorgelegt wird (LG Leipzig DAR 2018, 698).

 

Rz. 41

 

Achtung: Nach Ablehnung wiederholter Antrag der Staatsanwaltschaft

Das Landgericht Zweibrücken (NZV 2008, 259) hält, wenn die Staatsanwaltschaft anstatt gegen die die vorläufige Entziehung ablehnende richterliche Entscheidung in die Beschwerde zu gehen, später erneut einen Entziehungsantrag stellt, diesen nur für zulässig, wenn sich neue Tatsachen ergeben haben.

4. Verfahrensbeschleunigung

 

Rz. 42

Die vorläufige Entziehung ist nur als Eilmaßnahme zulässig. Aus diesem Grund besteht ein Gebot zur besonderen Verfahrensbeschleunigung (BVerfG zfs 2005, 622; Hanseatisches OLG zfs 2007, 409). Das fordert sowohl das Recht auf ein faires Verfahren als auch Art. 6 Abs. 1 EMRK. Vor allem das von Verfassungs wegen zu beachtende Übermaßverbot setzt der Zulässigkeit des Eingriffs nicht nur bei dessen Anordnung und Vollziehung, sondern auch bei dessen Fortdauer Grenzen. Deshalb kann vor allem dann, wenn in erheblicher Weise gegen das Beschleunigungsgebot verstoßen wurde, eine weitere vorläufige Entziehung rechtswidrig sein (OLG Karlsruhe zfs 2005, 204; LG Leipzig DAR 2018, 698). Dies gilt vor allem, wenn ein Berufskraftfahrer oder ein zur Ausübung seines Berufes auf die Fahrerlaubnis angewiesener Fahrerlaubnis-Inhaber betroffen ist (OLG Hamm zfs 2002, 199).

 

Rz. 43

 

Tipp: Aufhebung von Amts wegen

Nach 7,5 Monaten vorläufiger Entzugszeit (LG München DAR 2014, 280), spätestens aber nach 16 Monaten (LG Hannover zfs 2016, 469) muss die vorläufige Entziehung unabhängig davon aufgehoben werden, ob demnächst eine Verhandlung ansteht, auch dann, wenn aus der Sicht des Beschwerdegerichts der Tatnachweis im Rahmen der Hauptverhandlung voraussichtlich zu führen sein wird.

5. Nach Einspruch gegen Strafbefehl

 

Rz. 44

Hat das Amtsgericht bei Erlass des Strafbefehls die Anordnung der Maßregel der Entziehung der Fahrerlaubnis nicht für geboten erachtet, ist die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis ohne neue Tatsachen und Beweismittel nicht zulässig, wenn (nur weil) der Angeklagte Einspruch gegen den Strafbefehl eingelegt hat (LG Berlin zfs 2007, 228).

So ist auch ein für den Fall eines Einspruches gestellter Antrag auf vorläufige Entziehung gegen LG Stuttgart (DAR 2011, 419) unzulässig (AG Montabaur NZV 2011, 214; LG Braunschweig DAR 2011, 417).

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