1. Vorliegen eines Verwaltungsaktes (§§ 68, 42 Abs. 1 VwGO analog)

 

Rz. 41

Es muss ein (belastender) VA i.S.d. § 35 VwVfG oder eine Ablehnung eines Antrags auf Erlass eines (begünstigenden) VAs vorliegen. Bei Untätigkeit der Behörde kann unter den Voraussetzungen des § 75 VwGO unmittelbar Klage erhoben werden. Im Übrigen gilt:

Anfechtungswiderspruch (§ 68 Abs. 1 S. 1 VwGO): Da es sich nach h.M. weder bei der Mitteilung an das VZR[59]/FER noch bei der Aufforderung, sich einer Begutachtung zu unterziehen (§ 2 Abs. 8 StVG; siehe dazu oben Rdn 23 f. m.w.N.),[60] um Verwaltungsakte handelt, ist damit nach h.M. in beiden Fällen ein Widerspruch nicht statthaft.
Verpflichtungswiderspruch (§ 68 Abs. 2 VwGO): Ablehnung eines Antrags auf Erlass eines VAs. Grundsätzlich ist ein Widerspruch gegen einen noch nicht erlassenen Verwaltungsakt unzulässig. Er wird auch nicht nachträglich zulässig, wenn der Verwaltungsakt später ergeht.[61] Allerdings ist unter engen Voraussetzungen gegen drohende Verwaltungsakte eine vorbeugende Unterlassungsklage denkbar.
[59] BVerwG NJW 1988, 87; NdsOVG zfs 2001, 480.
[60] Vgl. bereits BVerwG NJW 1970, 1989, str.
[61] OVG Saarland, Urt. v. 29.3.1994 – 2 R 24/93 m.w.N.; Beschl. v. 3.6.1994 – 3 W 14/94; Kopp/Schenke, §§ 68 Rn 2, 69 Rn 3, 70 Rn 4.

2. Entbehrlichkeit des Vorverfahrens/Ausschluss des Widerspruchsverfahrens

a) Landesrechtlicher Ausschluss des Vorverfahrens

 

Rz. 42

Dies betrifft die Frage, ob für die betreffende Materie landesrechtlich ein Widerspruchsverfahren vorgesehen ist (vgl. dazu z.B. Art. 15 BayAGVwGO, § 16a HessAGVwGO, § 8a Nds AGVwGO; dazu oben Rdn 2 ff.).

b) § 68 Abs. 1 S. 2 VwGO

 

Rz. 43

Eines Vorverfahrens bedarf es nach § 68 Abs. 1 S. 2 VwGO nicht in folgenden Fällen:

§ 68 Abs. 1 S. 2 Alt. 1 VwGO (wenn ein Gesetz dies bestimmt); Beispiele: §§ 70, 74 Abs. 1 S. 2 VwVfG.
§ 68 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 VwGO: Verwaltungsakt einer obersten Bundes- oder Landesbehörde. Beachte aber Rückausnahme in § 68 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 Alt. 2 VwGO.
§ 68 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 VwGO: Entfallen des Vorverfahrens nicht nur bei erstmaliger Beschwer durch den Widerspruchsbescheid, sondern auch bei erstmaliger Beschwer durch einen Abhilfebescheid; außerdem Klarstellung, dass dies nicht nur bei Beschwer eines Dritten gilt, sondern auch bei Beschwer anderer Verfahrensbeteiligter.[62]
[62] Kopp/Schenke, § 68 Rn 20.

3. Besondere Regelung schreibt Vorverfahren ausdrücklich vor

 

Rz. 44

Ein Vorverfahren findet auch nach § 68 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 Alt. 2 VwGO statt, wenn es ausdrücklich vorgeschrieben ist (z.B. § 55 PBefG; vgl. auch § 126 Abs. 2 und 3 BRRG/§ 54 Abs. 2 BeamtStG).[63]

[63] Exkurs: § 126 Abs. 3 BRRG und § 124 Abs. 3 SBG und jetzt § 55 BeamtStG erweitern die Notwendigkeit eines Vorverfahrens über das Vorliegen von Verwaltungsakten einer obersten Verwaltungsbehörde hinaus auch auf alle Fälle des Beamtenrechts. Abweichend von § 68 VwGO ist in Beamtenrechtsstreitigkeiten damit immer ein Vorverfahren statthaft (Wagner, Beamtenrecht, 7. Aufl. 2002, Rn 309; Juncker, Beamtenrecht, Rn 514 ff.; Wind, ZBR 1984, 167, 169. Zum Rechtsschutz beim Einsatz der neuen leistungsbezogenen Besoldungsinstrumente vgl. Schnellenbach, ZBR 1999, 53).

4. Besondere Fälle

 

Rz. 45

Erledigung des Verwaltungsaktes und Fortsetzungsfeststellungsklage:[64]

Erledigung vor Ablauf der Widerspruchsfrist: Notwendigkeit des Vorverfahrens ist streitig, Vorverfahren entbehrlich: vgl. BVerwG.[65]
Erledigung nach Ablauf der Widerspruchsfrist und vor bzw. nach Klageerhebung (Fortsetzungsfeststellungsklage): Vorverfahren war erforderlich.
Erledigung des VA während des Widerspruchsverfahrens: Das Widerspruchsverfahren ist einzustellen; eine Widerspruchsentscheidung ergeht nicht mehr.[66]
Vorverfahren ist entbehrlich, wenn sich Beklagter/Widerspruchsbehörde sachlich auf die Klage eingelassen hat, ohne das Fehlen des Vorverfahrens zu rügen, und Klageabweisung beantragt hat.[67]
Zu weiteren Ausnahmen siehe kritisch Kopp/Schenke, § 68 Rn 22 ff.
Bei wirksamem Verzicht auf Einlegung des Widerspruchs ist trotzdem erhobener Widerspruch unzulässig.[68]
[64] Dazu Wüstenbecker, JA-Übungsblätter 1989, 65, 68; Erichsen, Jura 1989, 49, 50 f.; Rozek, JuS 1995, 414 ff., 598 ff., 697 ff.; Konrad, Die Erledigung der Hauptsache im Verwaltungsprozess, JA 1998, 331, 332; siehe in diesem Zusammenhang auch BVerwG DVBl 1989, 873. Zur Hauptsachenerledigung im Widerspruchsverfahren vgl. Engelbrecht, JuS 1997, 550.
[65] BVerwG DVBl 1981, 502; BVerwGE 26, 161, 165 ff.; BayVGH BayVBl 1993, 429, 430; a.A. Kopp/Schenke, § 68 Rn 34, § 113 Rn 127. Exkurs: Beachte hinsichtlich des Fortsetzungsfeststellungswiderspruchs in beamtenrechtlichen Streitigkeiten § 126 Abs. 3 BRRG, § 124 SBG (BVerwG DVBl 1981, 502 f.).
[66] BVerwGE 81, 226.
[67] BVerwG DVBl 1984, 91 m.w.N.; 1981, 503; VGH BW, NZV 1992, 383; a.A. Kopp/Schenke, § 68 Rn 28.
[68] Kopp/Schenke, VwGO, § 69 Rn 11; Brühl, JuS 1994, 155.

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