Rz. 67

Die uneingeschränkte Anfahrmöglichkeit mit Kfz bis unmittelbar vor die eigene Tür gehört auch bei Gewerbetreibenden nicht zu dem durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützten Kernbereich des Anliegergebrauchs, sofern die Straße als Verkehrsmittler und der Kontakt nach außen bestehen bleiben.[131] Über das bloße Erschlossensein des Grundstücks hinaus reicht der eigentumsrechtlich gemäß Art. 14 Abs. 1 GG geschützte Kern des Anliegergebrauchs so weit, wie eine angemessene Nutzung des Grundeigentums eine Benutzung der Straße erfordert. Dabei ist angemessen in diesem Sinne nicht schon jede Nutzung, zu der das Grundeigentum Gelegenheit bietet, sondern ausschließlich das, was aus dem Grundstück und seiner sowohl der Rechtslage als auch den tatsächlichen Gegebenheiten entsprechende Benutzung als Bedürfnis hervorgeht, worauf der Anlieger mithin in spezifisch gesteigerter Weise angewiesen ist. Gerade Grundstücke mit Gewerbebetrieben sind in diesem Sinne auf den Zugang zur Straße und die Zugangsmöglichkeit von der Straße her angewiesen.[132]

 

Rz. 68

An die Erschließung können je nach Gebietsart und Grundstücksnutzung unterschiedliche Anforderungen gestellt werden, so dass das Heranfahren auf ein Gewerbegrundstück in einem Gewerbegebiet unabdingbar sein kann.[133]

 

Rz. 69

Bloße Zugangserschwernisse, etwa nach Einrichtung einer Fußgängerzone, reichen für eine Gaststätte jedenfalls so lange nicht aus, als die Erreichbarkeit für Kfz nicht in Frage gestellt ist.[134] Die Aufrechterhaltung oder Schaffung einer optimalen Verkehrsanbindung ist jedenfalls nicht vom Anliegergebrauch geschützt. Auch der Fortbestand einer für eine bestimmte Grundstücksnutzung vorteilhafte Verkehrsanbindung beinhaltet keine geschützte Position.[135] Dies gilt auch dann, wenn der Gewerbebetrieb, etwa eine Gaststätte, darauf zugeschnitten war, dass er etwa mit Bussen und großen Lastkraftwagen unmittelbar erreicht werden konnte. Hier hat sich der Betreiber nämlich nur eine gute Gewinn- und Verdienstmöglichkeit, also eine bloße Chance zunutze gemacht. Hoffnungen und Erwartungen werden aber ebenso wenig geschützt[136] wie Lagevorteile, die auf dem anliegenden Grundstück eine bestimmte Gewerbetätigkeit erst ermöglichen oder fördern. So wird ein Ausflugbetrieb, der sein Gewerbe gerade auf die Benutzung einer bestimmten Straße gründet, durch deren Einziehung regelmäßig nicht in seinen Rechten verletzt.[137]

 

Rz. 70

Nach Errichtung einer Fußgängerzone (hierzu speziell: siehe § 40 Rdn 1 ff.) ist es ausreichend, wenn die Verbindung mit dem öffentlichen Verkehrsraum erhalten bleibt. Den Geschäftsinteressen ist ausreichend Rechnung zu tragen, indem ausreichend Zeiten für die Ein- und Ausfahrt in die Fußgängerzone eingeräumt werden.[138] Dies soll auch bei Apotheken der Fall sein, selbst wenn diese ganztägig mit dringend notwendigen Medikamenten durch Großhändler versorgt werden müssen.[139]

 

Rz. 71

Zum ständigen Befahren einer Fußgängerzone, also auch außerhalb der vorgesehenen Anlieferzeiten, ist grundsätzlich eine Ausnahmegenehmigung notwendig (§ 46 Abs. 1 Nr. 11 StVO). Bei der Frage, ob diese Ausnahmegenehmigung erteilt wird, hat die Behörde im Rahmen ihrer pflichtgemäßen Ermessensentscheidung zu berücksichtigen, dass durch die Schaffung einer grundsätzlich dem Fußgängerverkehr vorbehaltenen Zone eine auf Dauer angelegte nachhaltige Ordnung des Gesamtverkehrs in dem Sinne getroffen wurde, dass die Fußgänger hier besonders geschützt werden sollen. Die für einen in einer Fußgängerzone angesiedelten Gewerbebetrieb (im Fall: Getränkeauslieferungsbetrieb) grundsätzlich förderliche jederzeitige uneingeschränkte Zufahrtsmöglichkeit zum Betriebssitz drängt die Interessen der Fußgänger nicht von vorneherein zurück.[140]

 

Rz. 72

Speziell: Die Anfahrmöglichkeit eines Autoschalters einer Apotheke: Die Abgabe von Arzneimitteln über den an einer Apotheke eingerichteten Autoschalter ist unzulässig. Auch die unbestritten notwendige Einrichtung eines Notdienstschalters in der Außenwand einer Apotheke rechtfertigt nicht den Betrieb eines Autoschalters während der normalen Öffnungszeiten.[141]

[131] BVerwG zfs 1995, 117; NdsOVG, Beschl. v. 29.12.2015 – 7 ME 53/15, NVwZ-RR 2016, 411.
[132] BVerwG NJW 1975, 1528; 1981, 412; DÖV 1984, 426; VGH BW zfs 1993, 395, 396; DÖV 1991, 168; NdsOVG, Beschl. v. 29.12.2015 – 7 ME 53/15, NVwZ-RR 2016, 411.
[133] BVerwG NVwZ 1991, 1090; 1988, 354; OVG Berlin NVwZ-RR 1994, 10, 11.
[134] OVG Berlin NVwZ-RR 1994, 10, 11.
[135] BVerwG DÖV 1984, 426; NJW 1981, 412.
[136] BVerfG NJW 1991, 358; OVG Berlin NVwZ-RR 1994, 10, 11; BayVGH BayVBl 2003, 719 ff.
[137] BayVGH BayVBl 1992, 276.
[138] VGH BW zfs 1993, 395, 396.
[139] VGH BW zfs 1993, 395, 396.
[140] BayVGH zfs 1998, 316; vgl. auch OVG Saarland zfs 1996, 358.
[141] BVerwG DVBl 1999, 43 = NJW 1999, 881 = zfs 1998, 277 – Ls.

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