Rz. 79

Das Straßenverkehrsrecht berechtigt nicht zu verkehrsregelnden Maßnahmen, die über den Umfang der wegerechtlichen Widmung der Straße hinaus andere Benutzungsarten zulassen. Die Straßenverkehrsbehörde darf damit z.B. nicht entgegen der ausschließlich auf den Fußgängerverkehr begrenzten Widmung der Straße den Kfz-Verkehr auch nur für bestimmte Zwecke freigeben.[155] Durch das Straßenverkehrsrecht darf also die straßenrechtliche Widmung letztendlich nicht "ausgehebelt" werden. Die Straßenverkehrsbehörde darf z.B. den Anliegerverkehr im Fußgängerbereich aufgrund der Ermächtigung des §§ 45, 46 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 11 StVO insoweit zulassen oder einschränken, als dies bei Berücksichtigung der straßenverkehrsrechtlichen Belange einerseits und der Interessen des Anliegers andererseits mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vereinbar ist. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die uneingeschränkte Anfahrmöglichkeit zu einem Grundstück bis "unmittelbar vor die eigene Haustür" im städtischen Ballungsgebiet einer Fußgängerzone nicht zu dem durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützten Kernbereich des Anliegergebrauchs gehört.[156]

 

Rz. 80

Mit einer Ausnahmegenehmigung nach § 46 StVO darf also grundsätzlich keine Straßenbenutzung zugelassen werden, die mit dem Widmungszweck nicht vereinbar ist. In solchen Fällen ist zunächst eine wegerechtliche Sondernutzungserlaubnis einzuholen, um die wegerechtlichen Voraussetzungen für die Erteilung einer verkehrsbehördlichen Ausnahmegenehmigung zu schaffen.[157]

 

Rz. 81

Ausnahme: Neben dem Widmungszweck darf die Genehmigungsbehörde andere Rechtsgüter, zumal wenn diese verfassungsrechtlich gewährleistet sind, nicht außer Betracht lassen. Führt die Versagung der Ausnahmegenehmigung zu einer Gefahr für das Leben der Benutzer der Straße oder wird ein bestehendes Sicherheitsrisiko durch die Versagung der Genehmigung wesentlich erhöht, kann die Ablehnung der Genehmigung nicht mehr auf die Wahrung des Widmungszweckes gestützt werden. Die Versagung einer Ausnahmegenehmigung für das Befahren einer Fußgängerzone mit Geldtransportfahrzeugen ist dementsprechend ermessensfehlerhaft, wenn das Risiko eines Überfalls auf den Geldboten nach kriminalpolizeilichen Erfahrungen wesentlich erhöht wird.[158] Art. 2 Abs. 2 GG besitzt hier Vorrang vor dem Grundsatz der möglichst ausnahmslosen Aufrechterhaltung der Widmung.[159]

 

Rz. 82

Denkbar ist im Zusammenhang mit § 46 StVO z.B. eine straßenverkehrsrechtliche Ausnahmegenehmigung für das Aufstellen von Betonsockel und Absperreinrichtungen. Gemäß § 46 Abs. 1 S. 1 Nr. 8 StVO können die Straßenverkehrsbehörden in bestimmten Einzelfällen oder allgemein für bestimmte Antragsteller Ausnahmen von dem Verbot genehmigen, Hindernisse auf die Straßen zu bringen (§ 32 Abs. 1 StVO).[160] Aus dem Regelungszusammenhang ergibt sich, dass von einem "Hindernis" im Sinne dieser Bestimmungen stets auszugehen ist, wenn ein Gegenstand auf die Straße gebracht wird, durch den der Verkehr gefährdet oder erschwert werden kann.[161] Ob ein auf die Straße gebrachter oder dort belassener Gegenstand danach ein solches Hindernis darstellt, ist im Rahmen einer Gesamtschau zu beurteilen. Es kommt – wie § 32 Abs. 1 S. 2 StVO zu entnehmen ist – darauf an, ob durch den Gegenstand ein verkehrswidriger Zustand eintreten kann; auf die Verkehrswidrigkeit stellt auch der in § 49 Abs. 1 Nr. 27 StVO geregelte Ordnungswidrigkeitentatbestand ab. Dabei sind einerseits der Inhalt der Widmung der Verkehrsfläche (also z.B. für alle Verkehrsarten oder – wie in einer Fußgängerzone – nur für den Fußgängerverkehr) einschließlich der konkreten Zweckbestimmung der betroffenen Areale (also Fahrbahn, Gehweg oder Sperrfläche) und andererseits die Zweckbestimmung des Gegenstandes sowie die mit ihm und der Dauer seines Verbleibs einhergehende Erschwerung oder Gefährdung des Verkehrs von Bedeutung.[162]

[155] BVerwG, NJW 1982, 840.
[156] OVG Saarland, Beschl. v. 25.4.2014 – 1 A 401/13, Der Verkehrsanwalt 2014, 206.
[157] BVerwG NJW 1982, 840; HessVGH NVwZ-RR 1992, 1 = zfs 1992, 72 – Ls.; OVG Saarland zfs 1997, 160 – Ls.
[158] HessVGH NVwZ-RR 1992, 1.
[159] HessVGH, a.a.O.
[160] Nach § 32 Abs. 1 S. 1 StVO ist es verboten, die Straße zu beschmutzen oder zu benetzen oder Gegenstände auf Straßen zu bringen oder dort liegen zu lassen, wenn dadurch der Verkehr gefährdet oder erschwert werden kann. Nach § 32 Abs. 1 S. 1 StVO hat, wer für solche verkehrswidrigen Zustände verantwortlich ist, diese unverzüglich zu beseitigen und bis dahin ausreichend kenntlich zu machen.
[161] Der Formulierung "gefährdet oder erschwert werden kann" ist zu entnehmen, dass es sich bei § 32 Abs. 1 StVO um einen Gefährdungstatbestand handelt. Das bedeutet, dass die Gefährdung oder Erschwerung des Verkehrs nicht bereits eingetreten oder sicher sein muss; ausreichend ist vielmehr, dass sie mit einiger Wahrscheinlichkeit zu erwarten oder nicht ganz unwahrscheinlich ist (König, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, § 32 StVO Rn 17; vgl. auch VGH BW, Urt. ...

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