Rz. 32

In der Schadenversicherung ist der Versicherer bei grober Fahrlässigkeit des Versicherungsnehmers berechtigt, "seine Leistung in einem der Schwere des Verschuldens des Versicherungsnehmers entsprechenden Verhältnis zu kürzen" (§ 81 Abs. 2 VVG).

Grob fahrlässig handelt, wer schon "einfachste, ganz nahe Überlegungen" nicht anstellt und in ungewöhnlich hohem Maße dasjenige unbeachtet lässt, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen.[17]

[17] Palandt/Grüneberg, § 277 BGB Rn 5 m.w.N.; BGH VI ZR 196/10, NJW-RR 2011, 1055.

a) Objektive Voraussetzungen

 

Rz. 33

Ausgangspunkt für die Bestimmung der groben Fahrlässigkeit ist die gesetzliche Regelung für einfache Fahrlässigkeit (§ 276 BGB):

"Fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt".

b) Subjektive Voraussetzungen

 

Rz. 34

Während der Maßstab der einfachen Fahrlässigkeit ausschließlich objektiv ist, sind bei der groben Fahrlässigkeit auch subjektive, in der Individualität des Handelnden begründete Umstände zu berücksichtigen. Der Vorwurf der groben Fahrlässigkeit ist nur dann begründet, wenn den Handelnden auch in subjektiver Hinsicht ein schweres Verschulden trifft. Im Rahmen der groben Fahrlässigkeit kommt es somit auch auf die persönlichen Fähigkeiten und Geschicklichkeiten, auf die berufliche Stellung, die Lebenserfahrung und den Bildungsgrad des Versicherten an.

 

Rz. 35

Der Versicherer muss die grobe Fahrlässigkeit auch in subjektiver Hinsicht beweisen. Die Regeln des Anscheinsbeweises sind nicht anwendbar. Der objektive Geschehensablauf und das Maß der objektiven Pflichtverletzung sind jedoch Indizien für die subjektive Seite.

Der BGH spricht von einem "Augenblicksversagen", wenn dem Versicherten ein "Ausrutscher" unterläuft, der auf "ein bei der menschlichen Unzulänglichkeit typisches einmaliges Versagen" zurückzuführen ist.[18] Ein Augenblicksversagen allein entkräftet noch nicht den Vorwurf der groben Fahrlässigkeit; es müssen vielmehr weitere Umstände hinzutreten, die den Grad des momentanen Versagens erkennen und in einem milderen Licht erscheinen lassen.[19]

Bei der groben Fahrlässigkeit handelt es sich um einen subjektiven Risikoausschluss, für dessen Vorliegen der Versicherer beweispflichtig ist. Die Regeln des Anscheinsbeweises sind nicht anwendbar. Der objektive Geschehensablauf und das Maß der objektiven Pflichtverletzung sind jedoch Indizien für die subjektive Seite.[20] Behauptet der Versicherungsnehmer Schuldunfähigkeit wegen unerkannter Schlafapnoe (Sekundenschlaf) i.S.v. § 827 S. 1 BGB, so trifft den Versicherungsnehmer die Beweislast.[21]

[18] Prölss/Martin/Armbrüster, § 81 VVG Rn 14 m.w.N.; BGH VI ZR 196/10, NJW-RR 2011, 1055, 1056.
[19] BGH IV ZR 223/91, VersR 1992, 1085; Prölss/Martin/Armbrüster, § 81 VVG Rn 40 m.w.N.; Langheid/Rixecker/Langheid, § 81 VVG Rn 86 m.w.N.
[20] Prölss/Martin/Armbrüster, § 81 VVG Rn 71 ff.

c) Partielle Leistungspflicht

 

Rz. 36

Nach § 81 Abs. 2 VVG ist der Versicherer bei grober Fahrlässigkeit des Versicherungsnehmers berechtigt, "seine Leistung in einem der Schwere des Verschuldens des Versicherungsnehmers entsprechenden Verhältnis zu kürzen". Da es sich bei der groben Fahrlässigkeit um einen subjektiven Risikoausschluss handelt, trägt der Versicherer die Beweislast für die Schwere der Schuld und für den Umfang der Leistungskürzung.[22]

Es ist davon auszugehen, dass die Versicherer im Regelfall die Hälfte der Entschädigungsleistung erbringen werden, es sind aber auch Kürzungen bis auf Null ebenso denkbar wie eine vollständige Schadenregulierung, wenn die grobe Fahrlässigkeit sich im Randbereich der einfachen Fahrlässigkeit bewegt.

[22] Rixecker, zfs 2007, 15, 16; Prölss/Martin/Armbrüster, § 81 VVG Rn 67 ff. m.w.N.

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