Rz. 237

Es stellt sich die Frage, ob die mit eingeklagten vorgerichtlichen Kosten den Gegenstandswert für das Verfahren erhöhen oder nicht. Soweit die vorgerichtlichen Kosten für die Geltendmachung der Hauptforderung entstanden sind, sind sie nicht werterhöhend.[166] Der Wert erhöht sich auch dann nicht, wenn der Hauptanspruch zusammen mit dem Nebenanspruch in einem Zahlungsantrag geltend gemacht wird.[167] Kindermann nimmt allerdings eine Erhöhung dann an, wenn der Anspruch auf einen Unterhaltsanspruch gestützt und als Hauptforderung geltend gemacht wird.[168]

 

Rz. 238

Auch der BGH verneint eine Erhöhung, wenn die vorprozessual entstandenen Kosten zur Durchsetzung des im laufenden Verfahren geltend gemachten Hauptanspruchs einbezogen werden:

Zitat

"Vorprozessual aufgewendete Kosten zur Durchsetzung des im laufenden Verfahren geltend gemachten Hauptanspruchs wirken nicht werterhöhend unabhängig davon, ob diese Kosten der Hauptforderung hinzugerechnet werden oder neben der im Klagewege geltend gemachten Hauptforderung Gegenstand eines eigenen Antrags sind.[169]"

Vorprozessual aufgewendete Kosten zur Durchsetzung des im laufenden Verfahren geltend gemachten Hauptanspruchs wirken nicht werterhöhend (Anschluss an BGH, Beschl. v. 30.1.2007 – X ZB 7/06 = JurBüro 2007, 313).“[170]

 

Rz. 239

Dies kann nach Ansicht der Verfasserin aber nur dann gelten, wenn die gesamten geltend gemachten Kosten von der Hauptforderung abhängig sind.

 

Beispiel

Es wurde ein Betrag von 5.000,00 EUR im Rahmen des Gesamtschuldnerausgleichs außergerichtlich geltend gemacht. Die Kosten hierfür betragen:

Gegenstandswert: 5.000,00 EUR, § 2 Abs. 1 RVG

 

1,3 Geschäftsgebühr aus 5.000,00 EUR

Nr. 2300 VV RVG
434,20 EUR
Auslagenpauschale, Nr. 7002 VV RVG 20,00 EUR
Zwischensumme 454,20 EUR
19 % USt., Nr. 7008 VV RVG 86,30 EUR
Summe 540,50 EUR

Wird nun die Hauptforderung (mangels Zahlung und aufgrund bereits bestehenden Verzugs zum Zeitpunkt der Geltendmachung durch den Anwalt gegenüber dem Anspruchsgegner) in voller Höhe mit 5.000,00 EUR gerichtlich geltend gemacht, ist der gesamte Kosten-Betrag in Höhe von 540,50 EUR als Nebenforderung anzusehen. Er wirkt nicht werterhöhend.

 

Rz. 240

Wenn aber der Anspruchsgegner vor Einreichung eines Antrags bei Gericht einen Teilbetrag bezahlt, wird ein Teil der vollen Geschäftsgebühr teilweise werterhöhend sein und ein Teil nicht. Nicht werterhöhend ist die Geschäftsgebühr nur dann, wenn sie abhängig von der Hauptforderung ist. Ist sie nicht oder nicht vollständig abhängig von der Hauptforderung ist eine Differenzierung vorzunehmen.[171]

 

Rz. 241

Der BGH hat sich mit diesem Thema bereits auseinandergesetzt und entschieden, dass sich die Geschäftsgebühr werterhöhend auswirken kann, sofern sie unabhängig von der Hauptforderung selbst Gegenstand des Verfahrens ist.

Zitat

"Vorprozessuale Anwaltskosten sind als streitwerterhöhender Hauptanspruch nur dann zu berücksichtigen, wenn sie sich auf einen Anspruch beziehen, der nicht Gegenstand des Rechtsstreits geworden ist. Wird ein Anspruch auf Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten neben der Hauptforderung, aus der er sich herleitet, geltend gemacht, ist er von dem Bestehen der Hauptforderung abhängig, so dass es sich bei den zur Durchsetzung eines Anspruchs vorprozessual aufgewendeten Geschäftsgebühren um Nebenforderungen i.S.v. § 4 ZPO handelt. Diese Grundsätze gelten gleichermaßen für die Berechnung des Streitwerts wie auch für die Ermittlung der Rechtsmittelbeschwer. (Nichtamtlicher Leitsatz)"[172]

 

Rz. 242

Das gleiche gilt im Rechtsmittelverfahren:

Zitat

"Die geltend gemachten vorprozessualen Anwaltskosten sind im Berufungsverfahren als Streitwert erhöhender Hauptanspruch zu berücksichtigen, soweit dem Kläger die zugrunde liegende Hauptforderung in erster Instanz aberkannt worden ist und er sein Begehren mit der Berufung insoweit nicht weiterverfolgt."[173]

 

Rz. 243

Der BGH hat 2020[174] entschieden, dass bei der Berechnung des werterhöhenden Anteils nach der Differenzmethode vorzugehen ist, wobei die Entscheidung zu Recht kritisiert wurde, da der BGH seiner eigenen Rechtsprechung der vergangenen Jahre in Leitsatz 2 widersprach, indem er den werterhöhenden Anteil der Geschäftsgebühr nicht aus dem vorgerichtlichen Erledigungswert berechnete.[175]

Zitat

Amtliche Leitsätze:

1. a) Der geltend gemachte Anspruch auf Befreiung von vorprozessual angefallenen Rechtsanwaltskosten erhöht als Nebenforderung den Wert des Beschwerdegegenstands nicht, soweit er neben der Hauptforderung geltend gemacht wird, für deren Verfolgung Rechtsanwaltskosten angefallen sein sollen. Soweit diese Hauptforderung jedoch nicht Prozessgegenstand ist, handelt es sich bei dem geltend gemachten Anspruch auf Befreiung von vorprozessual angefallenen Rechtsanwaltskosten nicht um eine Nebenforderung. (Rn 6)

2. b) Der Wert dieses Anteils ist durch eine Differenzrechnung zu ermitteln, bei der von den gesamten nach der Klagedarstellung vorprozessual angefallenen Rechtsanwaltskosten diejenigen (fiktiven) Kosten abzuziehen sind...

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