Rz. 85

Nach § 11a Abs. 5 SGB II sind Zuwendungen, die ein anderer erbringt, ohne hierzu eine rechtliche oder sittliche Pflicht zu haben, nicht anzurechnen, wenn

ihre Berücksichtigung für die Leistungsberechtigten grob unbillig wäre oder
sie die Lage der Leistungsberechtigten nicht so günstig beeinflussen, dass daneben Leistungen nach diesem Buch nicht gerechtfertigt wären.

Diese Regelung korrespondiert zwar nur teilweise mit § 84 Abs. 2 SGB XII. Trotzdem sollen die zu § 84 Abs. 2 SGB XII entwickelten Grundsätze übertragbar sein.[130]

Beispiel: Das tarifvertragliche Sterbegeld fällt nicht unter die Regel des § 11a Abs. 5 SGB II, weil es sich beim Sterbegeld um eine tarifvertragliche Leistung handelt, die aufgrund einer Rechtspflicht erfolgt.[131]

§ 11 A Abs. 5 Nr. 1 SGB II soll Zuwendungen erfassen, bei denen eine Anrechnung des zugewendeten Betrags – ohne Rücksicht auf die Höhe der Zuwendung – nicht akzeptabel ist und die erkennbar nicht auch zur Deckung des Existenzminimums verwendet werden sollen.[132]

Beispiel: Zuwendung von 50 EUR Taschengeld monatlich durch die Großmutter an den Enkel, die dieser für Bewerbungsaktivitäten und Rückzahlung eines auf Jobfindung gerichteten Darlehens verwendete.[133]

 

Rz. 86

Zum Teil wird versucht, die Norm unter Hinweis darauf, dass nach den expliziten Vorgaben des BVerfG Grundsicherungsleistungen nicht nur die physische Existenz absichern, sondern auch ein sozio-kulturelles Minimum gewährleisten sollen, zu konkretisieren. Der unbestimmte Rechtsbegriff der unbilligen Härte sei im Lichte der Grundrechte auszufüllen:

Wenn die Würde des Leistungsbeziehers über die Anrechnung von Leistungen Dritter tangiert werde, sei dies rechtswidrig. Zuwendungen in Form von Geld oder Sachen zur Verbesserung der Pflege eines pflegebedürftigen Menschen müssten anrechnungsfrei bleiben.[134]
Zuwendungen Verwandter, mit denen Reisen finanziert werden sollten, unterfielen dem Grundrecht der freien Entfaltung der Persönlichkeit. Wegen der recht schwachen Grundrechtswirkung sei aber nicht mit erkennbaren Auswirkungen auf die Praxis zu rechnen.[135]
Zuwendungen, die dem Informationsbedürfnis zu dienen bestimmt seien, beträfen das Grundrecht auf Kommunikationsfreiheit. Die Anrechnung von Geldern, die zur Anschaffung eines Rundfunkgerätes dienten, seien z.B nicht wertungsgerecht.[136]
Zuwendungen Dritter, die gewährt würden, um einen Privatschulbesuch zu finanzieren, seien im Lichte von Art. 6 GG zu bewerten.[137]
"Ausbildungsbeihilfen" Dritter, die dazu bestimmt seien, besondere ausbildungsbedingte Aufwendungen abzudecken, müssten im Lichte der Berufsfreiheit bewertet werden.[138]
 

Rz. 87

Die Praxis hat diesen grundrechtlichen Verschonungsansatz bisher nicht aufgenommen. Der Gesetzgeber hat aber teilweise reagiert und Sondertatbestände geschaffen:

§ 1 Abs. 1 Nr. 12 Alg II-VO nimmt Geldgeschenke an Minderjährige anlässlich der Firmung, Kommunion, Konfirmation oder vergleichbarer religiöser Feste sowie der Jugendweihe von der Anrechnung aus, soweit sie den Grundfreibetrag, der für ein Kind vermögensrechtlich nach § 12 Abs. 2 S. 1 Nr. 1a SGB II geschont ist, nicht überschreiten. Das sind (Stand 2021) 3.100 EUR.

Andere Zuwendungen haben durch die Gesetzesänderung zum 1.8.2016 deutlich an Bedeutung verloren.

 

Rz. 88

 

Fallbeispiel 61: Der geschenkte Pkw (vor und nach der Gesetzesänderung)

Mit Kaufvertrag vom 29.1.2009/2019 erwarb H einen erdgasbetriebenen Pkw mit Sonderausstattungen zum Preis von 19.421,18 EUR, der am 5.2.2009/2019 auf ihn zugelassen und am 6.2.2009/2019 von seinem Vater bezahlt wurde. Der auf H lautende Fahrzeugbrief wurde ihm übersandt, der den Wagen sodann am 16.2.2009/2019 abholte. Zum 5.2.2009/2019 schloss der Kläger einen neuen Kfz-Versicherungsvertrag wegen Fahrzeugwechsels. Bei der Neubewilligung von Alg II verweigerte das Jobcenter Leistungen, weil H zusammen mit anderen Vermögenswerten das Schonvermögen nach § 12 SGB II überschreite. Zu Recht?

Der Zufluss eines Sachwertes im Leistungszeitraum war 2009 Einkommen. Der Zufluss eines Sachwertes im Leistungszeitraum in 2019 ist Vermögen nach § 12 SGB II.

 

Rz. 89

Falllösung Fallbeispiel 61:

In 2009 bis zum 1.8.2016 kann eine Schenkung nur nach § 11a und 11b SGB II gegen Verwertung geschont sein. Die Rechtsprechung hat entschieden, dass die durch einen Dritten (z.B. Vater) vorgenommene Zuwendung des Geldwerts eines Kfz, welches das Mehrfache eines i.S.d. § 12 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 SGB II angemessenen Kfz kostet, die Lage eines Leistungsberechtigten so günstig beeinflusst, dass daneben Leistungen nach dem SGB II nicht gerechtfertigt sind.[139] Selbst wenn das Fahrzeug wesentlich billiger gewesen wäre, hätte man nicht darauf hoffen können, dass die Zuwendung anrechnungsfrei möglich ist.

Seit dem 1.8.2016 ist eine Zuwendung in Geldeswert Vermögen nach § 12 SGB II und ein angemessenes Fahrzeug ist anrechnungsfrei zuwendbar, wenn nicht insgesamt die geschonten Vermögenswerte überschritten werden.

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