Rz. 105

Der Vorteilsausgleich bezieht sich auf Ersparnisse während der Zeit der Arbeitsunfähigkeit, die daraus resultieren, dass ein geschädigter Arbeitnehmer in diesem Zeitraum keine Aufwendungen für die Berufsausübung hat und gegebenenfalls während Zeiten stationärer Aufnahme die Kosten für die Ernährung zuhause gespart hat.

 

Rz. 106

Den Vorteilsausgleich kann man nicht in jedem Fall und pauschal in gleicher Höhe ansetzen. Im Interesse des Geschädigten sollte immer von dessen individueller Situation ausgegangen werden, anstelle auf pauschalierte Sätze zwischen 5 % und 10 % – wie häufig vom Versicherer gewünscht – zurückzugreifen.

 

Rz. 107

Die am häufigsten ins Feld geführte Position sind die Fahrtkosten eines Arbeitnehmers von Zuhause zum Arbeitsplatz. Nach diesseitiger Ansicht sind derartige ersparte Aufwendungen bei der Schadensbezifferung nicht mehr zu berücksichtigen, weil ein Arbeitnehmer wegen der aktuellen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes (BFH 26.2.2009, Az. VI R 17/07) diese Kosten als sogenannte "Pendlerpauschale" ab dem ersten Kilometer in seiner Einkommensteuererklärung geltend machen kann. Wenn dem Geschädigten also vor dem Schadensereignis kein finanzieller Nachteil dadurch entstanden ist, dass er mit seinem Kfz zur Arbeit gefahren ist, so ändert sich an dieser Situation auch nichts, wenn die Fahrtkosten nicht mehr anfallen, weil er verletzungsbedingt seine Erwerbstätigkeit nicht mehr ausübt. Damit bleibt auch kein Raum mehr für einen Vorteilsausgleich aufgrund ersparter Fahrtkosten.

 

Rz. 108

Bei der Anrechnung von Kosten doppelter Haushaltsführung zulasten des Hätte-Einkommens (so Jahnke, S. 296) ist genauer hinzusehen: Kosten doppelter Haushaltsführung reduzieren den Hätte-Verdienst nur so lange, wie die doppelte Haushaltsführung nach dem schädigenden Ereignis noch aufrechterhalten wird. Häufig werden Zweithaushalte nach einem schweren Personenschaden am Arbeitsort aufgelöst, weil der Geschädigte in der Regel diese Kosten sparen möchte, zumal häufig vorhersehbar ist, dass er aufgrund der Verletzungsfolgen nicht mehr in der Lage sein wird, die alte Berufstätigkeit auszuüben.

 

Praxistipp

Zur Bestimmung des Enddatums der doppelten Haushaltsführung sollte sich der Rechtsanwalt von seinem Mandanten die Kündigung des Mietvertrages und die Meldebescheinigung vom Einwohnermeldeamt aushändigen lassen. Die Kosten für die Auflösung des zweiten Haushaltes sind unfallbedingt angefallen und vom Schädiger zu erstatten.

Zu den weiteren Positionen ersparter berufsbedingter Aufwendungen zählen gegebenenfalls Berufsbekleidung (OLG Schleswig NJW-RR 2004, 599) und die Kosten für deren Reinigung. Auch hier lohnt das genaue Hinschauen: Häufig trägt der Arbeitgeber die Kosten für die Reinigung der Berufsbekleidung, so dass ersparte Aufwendungen unfallbedingt nicht erkennbar sind.

 

Rz. 109

Soweit Aufwendungen für die Anschaffung von Arbeitsmitteln (Fachliteratur, Werkzeug) erspart werden, sind diese dem Hätte-Verdienst gegenzurechnen. Jedoch ist zu berücksichtigen, dass die dafür aufgewandten Geldmittel vom Geschädigten in der Regel geringer sind, als vom Versicherer gerne geschätzt. Hier lohnt ein Blick in den Einkommensteuerbescheid der letzten ein bis drei Jahre vor dem Schadensereignis und die Einsichtnahme in die der jeweiligen Steuererklärung zugrunde liegenden Originalbelege des Geschädigten.

 

Rz. 110

Bei der Anrechnung von Beiträgen zu Berufsverbänden und Gewerkschaften ist wiederum zu berücksichtigen, dass der Geschädigte häufig die Mitgliedschaft bereits dann gekündigt hat, wenn für ihn erkennbar wurde, dass eine Rückkehr in das Erwerbsleben verletzungsbedingt nicht mehr möglich ist. Auch hier sollte sich der Anwalt des Geschädigten die Kündigung der Mitgliedschaft aushändigen lassen, um so den exakten Zeitraum zu beziffern, innerhalb dessen derartige ersparte Aufwendungen den Hätte-Verdienst tatsächlich noch minimiert haben.

 

Rz. 111

Dem vom Versicherer bei jungen männlichen Geschädigten häufig ins Feld geführte Einwand, der ohne den Unfall zu absolvierende Grundwehrdienst führe zum Vorteilsausgleich zulasten des Geschädigten, kann oftmals begegnet werden durch die Nachfrage beim geschädigten Mandanten, ob er anstelle des Grundwehrdienstes einen Ersatzdienst (Feuerwehr, THW, DRK oder ähnlichen Einrichtungen) neben seiner Berufstätigkeit während seiner Freizeit ausgeübt hätte. Bejahendenfalls gibt es keinen Vorteilsausgleich. Für Schadensfälle, bei denen ein Grundwehrdienst nach dem 1.7.2011 fiktiv behauptet wird, ist zu beachten, dass es seit dem Tage keine gesetzliche Wehrpflicht mehr gibt. Der Grundwehrdienst findet seitdem nur noch auf freiwilliger Basis statt.

 

Rz. 112

Letztlich sind noch die ersparten Aufwendungen für die häusliche Verpflegung während der stationären Aufnahme in Kliniken und Reha-Einrichtungen im Rahmen des Vorteilsausgleichs zu berücksichtigen. Nach ständiger Rechtsprechung beträgt dieser rund 10 EUR pro Tag stationärer Unterbringung (OLG Oldenburg r+s 1980, 85, AG Nordhorn zfs 1988, 135). Diese...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge