A. Einführung

 

Rz. 1

§ 1a ist durch das Gesetz zu Reformen am Arbeitsmarkt mit Wirkung zum 1.1.2004 in das KSchG eingefügt worden.[1] Der Einfügung ging ein langwieriges Gesetzgebungsverfahren voraus, das erst durch die Verhandlungen im Vermittlungsausschuss Mitte Dezember 2003 sein Ende fand. § 1a KSchG ist indes seit dem ursprünglichen Gesetzgebungsvorschlag[2] nicht geändert worden. Die amtliche Gesetzesbegründung befindet sich in BT-Drucks 15/1204, 12 ff. Die Aufsätze, die sich überwiegend noch mit dem Gesetzgebungsentwurf beschäftigen, sind aus diesem Grunde aktuell geblieben.[3] § 1a KSchG hat in der Praxis keine große Relevanz erlangt.

 

Rz. 2

Im Ergebnis erschöpft sich die Regelung des § 1a KSchG in der deklaratorischen Beschreibung einer Möglichkeit, die der Arbeitgeber ohnehin bei Ausspruch einer Kündigung hat. Die einzigen zwei Regelungsinhalte des § 1a KSchG sind die Fiktion der Abgabe einer Willenserklärung (Annahmeerklärung) des Arbeitnehmers und die Festlegung einer gesetzlich determinierten Rechtsfolge für den Fall des Zustandekommens des Vertrages auf diese Weise. Auswirkungen über den Bereich der individuellen Kündigung hinaus hat § 1a KSchG nach der Rechtsprechung des BAG nicht. Ein Anspruch auf Abfindung nach einem Sozialplan darf auch weiterhin nicht von einem Klageverzicht des Arbeitnehmers abhängig gemacht werden.[4]

 

Rz. 3

In der Literatur sind vielfältig rechtspolitische Bedenken hinsichtlich der Auswirkungen des § 1a KSchG angeführt worden. So merkte Meinel[5] 2003 an, dass zukünftig Sozialplanverhandlungen, bei denen eine Abfindungsquote unter 0,5 festgelegt wird, nicht mehr denkbar seien. In der anwaltlichen Beratung hat sich dies nicht bestätigt. Zwar existiert insbesondere bei den Betriebsparteien nach wie vor verbreitet der Irrglaube, es gäbe eine zwingende gesetzliche Regelung zur Abfindungshöhe, was sich aber erfahrungsgemäß unter Verweis auf den insoweit klaren Gesetzeswortlaut ("kann") richtig stellen lässt. Die befürchteten Auswirkungen auf die Abfindungshöhen sind in der Praxis nicht eingetreten. Da § 1a KSchG vollkommen losgelöst von den individuellen betrieblichen Belangen des Arbeitgebers und der Arbeitnehmer ist, liegt auf der Hand, dass die Quote des § 1a KSchG in Verhandlungen um einen Sozialplan, bei dem es gerade um die Berücksichtigung dieser Belange geht, nicht vorgreiflich sein kann. Letztlich sind auch die Befürchtungen in Bezug auf die Abfindungsquoten in Prozessvergleichen, wonach die Arbeitsrichter die Quote von 0,5 als nahezu unverrückbar ansehen könnten,[6] ebenfalls nicht eingetreten. Die praktische Erfahrung zeigt, dass die Arbeitsgerichte ihre Vergleichsvorschläge überwiegend an der persönlichen Situation der Parteien sowie der ersten Einschätzung zur Aussicht der Kündigungsschutzklage orientieren.

 

Rz. 4

Durch § 1a KSchG werden die weiteren Möglichkeiten der Gestaltung im Vorfeld, bei Ausspruch der Kündigung oder im Nachgang zu einer Kündigung nicht beeinträchtigt. Es bleibt weiterhin unbenommen, einen Aufhebungs- oder Abwicklungsvertrag zu schließen. Es bleibt darüber hinaus dem Arbeitgeber unbenommen, (auch) eine betriebsbedingte Kündigung auszusprechen, ohne hierbei eine Abfindung anzubieten. Unbenommen bleibt es dem Arbeitgeber auch, im Rahmen des Kündigungsschreibens ein von § 1a KSchG abweichendes Abfindungsangebot zu unterbreiten. Allerdings ist er dann aus Gründen der Rechtssicherheit, Rechtsklarheit und Beweissicherung gehalten, dies in der schriftlichen Kündigungserklärung eindeutig und unmissverständlich zu formulieren, insbesondere welche Abfindung er unter welchen Voraussetzungen anbietet. Der Arbeitnehmer muss bei Zugang der Kündigung klar erkennen können, ob der Arbeitgeber ihm ein Angebot nach § 1a KSchG oder ein davon abweichendes Angebot unterbreitet hat.[7] Macht er dies nicht oder missverständlich klar, kann dies zur Verurteilung zu einer Abfindung nach § 1a KSchG führen.[8]

[1] BGBl I 2003, 3002.
[2] BT-Drucks 15/1204, 5.
[3] Vgl. Bauer, NZA 2003, 366; Bauer, Beilage zu NZA Heft 21/2003, 47; Bauer/Preis/Schunder, NZA 2003, 704; Grobys, DB 2003, 2174; Löwisch, NZA 2003, 689; Meinel, DB 2003, 1438; Thüsing/Stelljes, BB 2003, 1673; Wolter, NZA 2003, 1068; Gaul/Bonanni, ArbRB 2003, 177; Nägele, ArbRB 2003, 274; Giesen/Besgen, NJW 2004, 185; Preis, DB 2004, 70.
[5] Meinel, DB 2003, 1438, 1439.
[6] So Meinel, DB 2003, 1438, 1439; Bauer, NZA 2003, 366, 368.
[8] ArbG Erfurt v. 21.10.2021 – 6 Ca 186/21.

B. Anspruchsinhalt und Anspruchsvoraussetzungen

I. Gesetzlicher oder rechtsgeschäftlicher Anspruch?

 

Rz. 5

Umstritten ist in der Literatur, ob die Konsequenz des § 1a KSchG ein gesetzlicher oder ein rechtsgeschäftlicher Anspruch ist. Auswirkungen hat diese Streitfrage auf die Möglichkeit, die rechtserhebliche Erklärung anzufechten. Unterschiede ergeben sich weiter, wenn der Arbeitnehmer Klage erhebt und diese dann später zurücknimmt. Gem. § 279 ZPO ist diese Klage als nicht anhängig geworden anzusehen. Für einen gesetzlichen Anspruch kö...

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