Rz. 1409

Mit dem Beschl. v. 3.5.1994 – 1 ABR 24/93, juris, hat das BAG die im Beschl. v. 23.2.1983 eingeschlagene Richtung korrigiert, die Existenz eines allgemeinen Unterlassungsanspruches bejaht und dem Betriebsrat bei Verletzung seiner Mitbestimmungsrechte aus § 87 BetrVG einen Anspruch auf Unterlassung, der keine grobe Pflichtverletzung voraussetzt, zuerkannt.

 

Rz. 1410

Das BAG hat seine neuere Rspr., die sich zunächst ausdrücklich auf die Verletzung der Mitbestimmungsrechte des § 87 BetrVG beschränkt hat, wie folgt begründet:

§ 23 Abs. 3 BetrVG beinhalte keine abschließende Regelung, wie schon der von der Rspr. bejahte Anspruch des Betriebsrates auf Herausgabe von Geld, auf Vorlage von Unterlagen oder auf Unterrichtung zeige; in § 23 Abs. 3 BetrVG werde ja nicht nur die Unterlassung, sondern auch die Verpflichtung des Arbeitgebers zu positivem Tun geregelt;
es sei nicht verständlich, dass ein solcher Anspruch nach dem Abschluss von Betriebsvereinbarungen (ausgeübter Mitbestimmung) bejaht werde, bei noch nicht ausgeübter Mitbestimmung aber nicht;
es sei normal, dass Unterlassungsansprüche als selbstständig einklagbare Nebenleistungsansprüche auch ohne gesetzliche Normierung beständen, wie bei absoluten Rechten aus §§ 823, 1004 BGB, bei Vertragspflichten aus § 242 BGB;
ein solcher Anspruch ergebe sich bei sozialen Angelegenheiten i.S.d. § 87 BetrVG aus der besonderen Rechtsbeziehung, die hier zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat bestehe; das durch die Bildung des Betriebsrates kraft Gesetzes zustande gekommene "Betriebsverhältnis" sei einem gesetzlichen Dauerschuldverhältnis ähnlich; es werde bestimmt durch die Rechte und Pflichten der einzelnen Mitbestimmungstatbestände sowie durch sich aus § 2 BetrVG ergebende wechselseitige Rücksichtspflichten;
bei der Wertung der im Gesetz vorgesehenen Rechte könne daher aus dem Gebot vertrauensvoller Zusammenarbeit als Nebenpflicht grds. auch das Gebot abgeleitet werden, alles zu unterlassen, was der Wahrnehmung des konkreten Mitbestimmungsrechtes entgegenstehe;
es komme allerdings auf die konkrete Art der Ausgestaltung der Mitbestimmungsrechte und die Art ihrer Verletzung an; insoweit sei es nicht widersprüchlich, einen Unterlassungsanspruch bei Verstößen gegen § 87 BetrVG zu bejahen, ihn aber im Zusammenhang mit personellen Einzelmaßnahmen und wirtschaftlichen Angelegenheiten zu verneinen;
Maßnahmen nach § 87 BetrVG solle der Arbeitgeber nur mit Zustimmung des Betriebsrates durchführen können; verstoße er hiergegen, entstehe eine betriebsverfassungswidrige Lage. Es sei nicht ersichtlich, dass der Gesetzgeber diese auch nur zeitweise habe dulden wollen;
die Konfliktregelungsmöglichkeit mithilfe der Einigungsstelle betreffe nicht den betriebsverfassungswidrigen Zustand und sichere nicht das Mitbestimmungsrecht bis zu deren Entscheidung; i.Ü. müsse derjenige die Einigungsstelle anrufen, der eine Änderung des bestehenden Zustandes herstellen wolle, der Betriebsrat habe aber häufig Interesse an dessen Aufrechterhaltung;
die Sicherung der Betriebsratsmitbestimmung werde nicht dadurch erreicht, dass mitbestimmungswidrig durchgeführte Maßnahmen nach der "Theorie der Wirksamkeitsvoraussetzung" ggü. dem einzelnen Arbeitnehmer unwirksam seien: Das Mitbestimmungsrecht nach § 87 BetrVG sei dem Betriebsrat zugewiesen und diene kollektiven Interessen; außerdem sei eine effektive Durchsetzung durch die Arbeitnehmer mangels Kenntnis und wegen bestehenden Druckes des Arbeitgebers oft nicht möglich.
 

Rz. 1411

Das BAG hat seine Entscheidung im Beschl. v. 23.7.1996 (1 ABR 13/96, juris) ausführlich gegen erhobene Kritik verteidigt. Es hat dargelegt, nicht die Bejahung, sondern die Verneinung eines derartigen Unterlassungsanspruches bedürfe einer besonderen Begründung, weil dem Gesetzgeber nicht unterstellt werden könne, er lasse gesetzwidriges – mitbestimmungswidriges – Verhalten sanktionslos. Maßgebend für das Bestehen des allgemeinen Unterlassungsanspruchs ist die Frage, ob die Ausgestaltung des spezifischen Mitbestimmungsrechts die Anerkennung eines dieses Recht sichernden Unterlassungsanspruchs erfordert, was bei den erzwingbaren Mitbestimmungstatbeständen des § 87 BetrVG der Fall ist (BAG v. 28.7.2020 – 1 ABR 45/18, juris). Das BAG hat in der Folge den allgemeinen Unterlassungsanspruch vielfach als gegeben angesehen so etwa bei

dem Einsatz von Arbeitnehmern aus anderen Betrieben für den Sonntagsverkauf (BAG v. 25.2.1997 – 1 ABR 69/96, juris);
der Kürzung einer Zeitgutschrift für die Teilnahme am Betriebsausflug (BAG v. 27.1.1998 – 1 ABR 35/97, juris; vgl. auch BAG v. 26.10.2004 zur Arbeitszeit am Karnevalsdienstag – 1 ABR 31/03(A), juris);
Arbeits- und Sicherheitsanweisungen zur Konkretisierung der UVV (BAG v. 16.6.1998 – 1 ABR 68/97, juris);
zusätzlichen Leistungen des Arbeitgebers über tatsächliche Aufwendungen hinaus bei Geschäftsreisen (BAG v. 27.10.1998 – 1 ABR 3/98, juris);
Eilbedürftigkeit angeordneter Überstunden (BAG v. 17.11.1998 – 1 ABR 12/98, juris);

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