Rz. 72

Eine Kündigung ist nach § 613a Abs. 4 S. 1 BGB unwirksam, wenn sie wegen des Betriebsübergangs erfolgt.

 

Rz. 73

Allein die Tatsache eines Betriebsüberganges muss tragender Grund für die Kündigung durch den bisherigen Inhaber oder den Betriebserwerber sein; deshalb ist bei der Anwendung des § 613a Abs. 4 BGB stets zu prüfen, ob es – neben dem Betriebsübergang – einen sachlichen Grund gibt, der "aus sich heraus" die Kündigung zu rechtfertigen vermag, sodass der Betriebsübergang nur der äußere Anlass, nicht aber der tragende Grund für die Kündigung gewesen ist. Es genügt zur Rechtfertigung der Kündigung nicht, dass der Betriebsübergang nur der äußerliche Anlass der Kündigung war, vielmehr muss das Motiv der Kündigung im Wesentlichen durch den beabsichtigten oder durchgeführten BetrInhW bedingt sein. Dementsprechend ist eine Kündigung nicht schon dann nach § 613a Abs. 4 S. 1 BGB rechtsunwirksam, wenn der Betriebsübergang für die Kündigung ursächlich war, sondern nur, aber auch dann ausnahmslos, wenn der Betriebsübergang der Beweggrund für die Kündigung war (BAG v. 26.5.1983 – 2 AZR 477/81; s. dazu Hanau, ZIP 1984, 141). Betrachtet man dagegen § 613a Abs. 4 BGB wertungsmäßig als eine Einheit, ist maßgeblich, ob die Kündigung – den Betriebsübergang weggedacht – rechtswirksam wäre, etwa weil sie unter den gegebenen Umständen das einzige Mittel zur Aufrechterhaltung und Weiterführung des Betriebes ist (Erman/Hanau, § 613a BGB Rn 111, 130; Hanau/Berscheid, Kölner Schrift zur InsO, S. 1541, 1554 Rn 23; Timm, ZIP 1983, 225, 228). Der Tatbestand des § 613a Abs. 4 S. 1 BGB ist mithin immer dann, aber auch nur dann erfüllt, wenn eine Rechtfertigung der Kündigung aus anderen sachlichen Gründen ausscheidet (BAG v. 20.9.2006 – 6 AZR 249/05; Berscheid, KGS, "Betriebsübergang/Betriebsinhaberwechsel" Rn 99). Dies zeigt aber auch bereits § 613a Abs. 4 S. 2 BGB, der eine Kündigung aus anderen Gründen ausdrücklich zulässt.

 

Rz. 74

Ein bevorstehender Betriebsübergang kann nur dann zur Unwirksamkeit gem. § 613a Abs. 4 BGB führen, wenn die den Betriebsübergang ausmachenden Tatsachen im Zeitpunkt des Zuganges der Kündigung bereits feststehen oder zumindest "greifbare" Formen angenommen haben (BAG v. 22.1.1998, RzK I 5e Nr. 81 = ZAP-ERW 1998, 141 m. Anm. Berscheid; BAG v. 3.9.1998 – 8 AZR 306/97; BAG v. 18.3.1999 – 8 AZR 306/98; BAG v. 26.8.1999 – 8 AZR 827/98).

 

Rz. 75

Bei der Beurteilung, ob eine Kündigung wegen Verstoßes gegen § 613a Abs. 4 S. 1 BGB rechtsunwirksam ist, kommt es allein auf die Verhältnisse zum Zeitpunkt des Kündigungszuganges an. Eine Änderung der Umstände, die zur Kündigung führten, kann zu einem Wiedereinstellungsanspruch des Arbeitnehmers führen (s. hierzu Rdn 94 ff.).

 

Rz. 76

Für den Verstoß gegen das Kündigungsverbot ist der Arbeitnehmer (BAG v. 16.5.2002 – 8 AZR 319/01), für die Rechtfertigung der Kündigung aus anderen Gründen der Arbeitgeber darlegungs- und beweispflichtig. Im Kündigungsschutzverfahren nach § 1 Abs. 2 S. 2 KSchG hat demgegenüber der Arbeitgeber die Tatsachen zu beweisen, die die Kündigung als betriebsbedingt rechtfertigen. Fehlt es daran, ist der Kündigungsschutzklage stattzugeben, ohne dass es der Feststellung bedarf, der tragende Beweggrund für die Kündigung sei ein Betriebsübergang (BAG v. 9.2.1994 – 2 AZR 666/93, NZA 1994, 686 = WPrax Heft 15/1994, S. 12 m. Anm. Berscheid, m.w.N.). Der Umfang der Darlegungslast hängt mithin davon ab, wie sich der gekündigte Arbeitnehmer auf die Begründung der Kündigung einlässt. Nach den Grundsätzen der abgestuften Darlegungs- und Beweislast hat der Arbeitgeber im Kündigungsschutzprozess auch darzulegen und ggf. zu beweisen, dass der Betrieb nicht durch Rechtsgeschäft übergegangen ist, wenn der Arbeitnehmer das Vorliegen einer Betriebsstilllegung mit dem Vortrag eines Sachverhalts bestreitet, aus dem sich schlüssig ein rechtsgeschäftlicher Betriebsübergang entnehmen lässt (so ausdrücklich BAG v. 3.10.1985 – 2 AZR 570/84).

 

Rz. 77

Dogmatische Fragen wirft allerdings eine Kündigung auf, die aus Gründen des Betriebsübergangs ausgesprochen wurde, wenn dennoch das Arbeitsverhältnis mit dem Betriebserwerber fortgesetzt wird. Bei einer Lösung nach dem Gesetzeswortlaut wäre die Kündigung ohne Erhebung einer Kündigungsschutzklage innerhalb der Frist des § 4 S. 1 KSchG gem. § 7 KSchG als wirksam zu betrachten. Das alte Arbeitsverhältnis würde erlöschen und damit auch nicht auf den Betriebserwerber übergehen. Als Konsequenz entfällt der Inhaltsschutz des § 613a Abs. 1 S. 1 BGB und mithin der soziale Besitzschutz (Nebeling/Erwin, NZA-RR 2006, 625, 628). Es steht allerdings zu befürchten, dass das BAG diesen rechtlich stringenten Schluss wohl nicht ziehen wird. In einem Urteil (BAG v. 19.5.2005 – 3 AZR 649/03) hat es einen Betriebsübergang auch dann angenommen, wenn das Arbeitsverhältnis aufgrund einer wirksamen Befristung am Tag vor dem Betriebsübergang endet, jedoch mit dem Betriebserwerber ein neues Arbeitsverhältnis in direktem zeitlichen und sachlichen Zusammenhang ...

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