Rz. 1

Die Möglichkeit, den Vermögensfluss über den Zeitpunkt des eigenen Todes hinaus zu steuern, wird in unmittelbarer Weise durch das Institut der Vor- und Nacherbschaft gewährleistet – sei es durch die explizite Einsetzung von Vor- und Nacherben (§§ 2100 BGB ff.), sei es durch die Einsetzung des Erben unter aufschiebender und auflösender Bedingung (§§ 2074, 2075 BGB). Die reichhaltige Rechtsprechung zu Testamenten von Ehegatten[1] zeigt, dass vor allem die Sicherung des Vermögens im Stamm auf der einen und die Absicherung des überlebenden Ehegatten auf der anderen Seite durch dieses Institut zu einem Ausgleich gebracht werden sollen. Eine weitere Motivation ist die Sicherung des Vermögens vor dem Zugriff Dritter.[2] Beratend und forensisch tätige Anwältinnen und Anwälte werden mit zwei Feldern konfrontiert: In der Gestaltungsberatung muss dem Wunsch des Mandanten um eine Vermögensweitergabe nach seinem Willen die testamentarische Konzeption entsprechen. Beim Umgang mit einem Testament, sei es im Erbscheinsverfahren,[3] sei es bei der Auseinandersetzung, ist im Umgang mit dem letzten Willen des Verstorbenen neben exakter Sachverhaltsaufklärung,[4] der korrekten Anwendung von Ergänzungs-[5] und Auslegungsregeln auch die Kenntnis der prozessualen Möglichkeiten der Sicherung von Ansprüchen notwendig.

 

Rz. 2

Das Pflichtteilsrecht spielt sowohl bei der Beratung des Testierenden als auch bei der Beratung der Vor- und Nacherben im Zusammenhang mit der "taktischen Ausschlagung" nach § 2306 BGB eine Rolle. Der beratende Anwalt hat hier insbesondere § 43a Abs. 4 BRAO, § 3 BORA zu beachten.

 

Praxishinweis

Erscheinen Vor- und Nacherbe in bester Eintracht zum Beratungsgespräch in der Kanzlei, ist höchste Vorsicht geboten. Die Abklärung, welcher Beteiligte das Mandat erteilt, hat sauber zu erfolgen.

[1] Allein aus den Veröffentlichungen seit 2015 seien genannt: OLG Schleswig FamRZ 2015, 1427; OLG München ZErb 2016, 70; OLG Schleswig FamRZ 2017, 403; OLG Düsseldorf ZErb 2018, 350; KG Berlin FamRZ 2019, 1105; OLG Düsseldorf ZEV 2020, 361; OLG Brandenburg ErbR 2021, 1047. Diese Auswahl bildet einen guten Überblick über die entstehenden Probleme bei der Weitergabe von (Privat-)Vermögen innerhalb der Familie.
[2] Hier ist vor allem das "Behindertentestament" zu nennen, aber auch der Versuch, finanziell in Schieflage geratene Abkömmlinge als Erben zu erhalten, deren Gläubiger jedoch zu distanzieren.
[3] Vgl. hier ausführlich inklusive Synopse der Vorschriften des FamFG und BGB Grziwotz, FamRZ 2016, 417.
[4] Im Umgang mit dem letzten Willen eines Verstorbenen besteht die Gefahr, zu rasch die Auslegungsregeln des BGB zu bemühen, die es gerade im Vor- und Nacherbenrecht an verschiedenen Stellen gibt (§§ 2074, 2075, 2101 Abs. 1, 2102 Abs. 1 u. 2, 2108 Abs. 2, 2110 Abs. 1 u. 2 BGB), ohne die Auslegungsbedürftigkeit selbst exakt festzustellen.

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge