1. Prüfung der Erfolgsaussichten ohne Gutachten
Rz. 92
Nach Nr. 2100 VV RVG erhält der Rechtsanwalt für die Prüfung der Erfolgsaussichten eines Rechtsmittels eine Gebühr i.H.v. 0,5 bis 1,0.
Diese Gebühr ist auf eine Gebühr für das Rechtsmittelverfahren wie bisher anzurechnen, wenn der Rechtsanwalt anschließend als Verfahrensbevollmächtigter im Rechtsmittelverfahren tätig wird.
Rz. 93
Ist der frühere Auftrag seit mehr als zwei Kalenderjahren erledigt, gilt die weitere Tätigkeit als neue Angelegenheit und in diesem Gesetz bestimmte Anrechnungen von Gebühren entfallen, § 15 Abs. 5 S. 2 RVG.
Rz. 94
Interessant ist, dass im Wortlaut der Nr. 2100 VV RVG keine Einschränkung für das "eigene Rechtsmittel" vorgesehen ist, so dass diese Gebühr auch dann anfällt, wenn der Rechtsanwalt über die Aussicht eines Rechtsmittels berät, das die Gegenseite eingelegt hat oder gar nur einzulegen beabsichtigt![71]
Rz. 95
Praxistipp
Eine Rückwärtsanrechnung ist nicht mehr vorgesehen! Dies bedeutet, dass der Rechtsanwalt, der nach verlorenem Verfahren beispielsweise den Mandanten hinsichtlich der Erfolgsaussichten eines Rechtsmittels berät, neben den in erster Instanz erhaltenen Gebühren die Prüfungsgebühr nach Nr. 2100 VV RVG abrechnen kann.
Rz. 96
Musterrechnung 4.8: Prüfung der Erfolgsaussichten nach erstinstanzlicher Tätigkeit – keine Einlegung des Rechtsmittels
Der geltend gemachte Unterhaltsanspruch wurde wegen Verwirkung (versuchter Prozessbetrug) versagt. Das erstinstanzliche Gericht begründet die Versagung in einem 17-seitigen umfangreichen Beschluss. Die unterlegene Mandantin möchte wissen, ob eine Beschwerde Aussicht auf Erfolg bietet. Ihr Rechtsanwalt, der bereits in erster Instanz tätig war, verneint Erfolgsaussichten. Die Beschwerde wird durch ihn nicht eingelegt. Der Wert hat 15.736,00 EUR betragen.
Gegenstandswert: 15.736,00 EUR, §§ 23 Abs. 1 RVG, 51 Abs. 1 u. 2 FamGKG
0,75 Gebühr für Prüfung der Erfolgsaussichten eines Rechtsmittels Nr. 2100 VV RVG |
487,50 EUR |
Auslagenpauschale, Nr. 7002 VV RVG | 20,00 EUR |
Zwischensumme | 507,50 EUR |
19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV RVG | 93,43 EUR |
Summe | 603,93 EUR |
Rz. 97
Praxistipp
Die Mittelgebühr beträgt 0,75. Hierauf sollte in der Abrechnung geachtet werden. Eine Beschränkung auf die Kriterien Umfang und Schwierigkeit wie bei der Geschäftsgebühr gibt es nicht. Daher können zur Bemessung der Gebühr alle Kriterien des § 14 RVG herangezogen werden, somit auch z.B. die Bedeutung der Angelegenheit für den Auftraggeber und seine wirtschaftlichen Verhältnisse. Ein Unterhaltsanspruch wird oft als verwirkt angesehen, wenn das Gericht der Auffassung ist, dass versuchter Prozessbetrug (z.B. durch nicht wahrheitsgemäße Angaben bei der Einkommensdarstellung) vorliegt. Hier droht in der Regel auch ein strafrechtliches Verfahren, weshalb der Aufhebung eines derartigen Urteils für den Auftraggeber immer besondere Bedeutung zukommt.
Rz. 98
Diese Gebühr ist mit dem RVG neu gestaltet worden und daher in der Regel auch den Mandanten nicht bekannt. Für viele Rechtsanwälte gehört es zum guten Service, den Mandanten eine Antwort auf die Frage zu geben, ob eine Berufung Aussicht auf Erfolg verspricht, ohne hierfür gesondert Gebühren zu verlangen. Dabei darf nicht außer Acht gelassen werden, dass eine nähere Befassung mit den Urteilsgründen oft erhebliche Zeit in Anspruch nimmt. Das RVG bietet für eine derartige Tätigkeit erstmals Gebühren. Fairerweise sollte der Mandant darauf hingewiesen werden, dass die Erfolgsaussichten gerne geprüft werden können, dies jedoch nicht mit den bisher entstandenen Gebühren abgedeckt ist.
Rz. 99
Praxistipp
Da sich die Gebühr für die Prüfung der Erfolgsaussichten nach dem Gegenstandswert berechnet, ist an den Hinweis nach § 49b Abs. 5 BRAO zu denken (vgl. auch § 2 Rdn 3 ff.).
2. Anrechnungsvorschrift
Rz. 100
Wird das Rechtsmittel durch den Rechtsanwalt eingelegt, ist diese Gebühr auf eine Gebühr für das Rechtsmittelverfahren anzurechnen, vgl. dazu die Anmerkung zu Nr. 2100 VV RVG.
Rz. 101
Musterrechnung 4.9: Prüfung der Erfolgsaussichten nach erstinstanzlicher Tätigkeit – Einlegung des Rechtsmittels
Der geltend gemachte Unterhaltsanspruch wurde wegen Verwirkung versagt. Das erstinstanzliche Gericht begründet die Versagung in einem 17-seitigen umfangreichen Beschluss. Die unterlegene Mandantin möchte wissen, ob eine Beschwerde Aussicht auf Erfolg bietet. Ihr Rechtsanwalt, der bereits in erster Instanz tätig war, bejaht Erfolgsaussichten. Die Beschwerde wird durch ihn eingelegt. Der Wert hat 15.736,00 EUR betragen.
1. Prüfung der Erfolgsaussichten
Gegenstandswert: 15.736,00 EUR, §§ 23 Abs. 1 S. 1 RVG, 51 Abs. 1 u. 2 FamGKG
0,75 Gebühr für Prüfung der Erfolgsaussichten eines Rechtsmittels Nr. 2100 VV RVG |
487,50 EUR |
Auslagenpauschale, Nr. 7002 VV RVG | 20,00 EUR |
Zwischensumme | 507,50 EUR |
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