Rz. 96

Gemäß Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG ist die entstandene Geschäftsgebühr nach Teil 2 des VV RVG zur Hälfte, höchstens mit einem Gebührensatz von 0,75, auf die von ihm zu berechnende Verfahrensgebühr des gerichtlichen Verfahrens anzurechnen, wenn sich die außergerichtliche und gerichtliche Tätigkeit auf denselben Gegenstand bezieht. Dies gilt sowohl für die folgende Verfahrensgebühr als auch für die vorangegangene Verfahrensgebühr, demgemäß zeitlich in beide Richtungen. Indem sich der Gesetzgeber auf die Geschäftsgebühren des Teil 2 bezieht, stellt die Anrechnungsvorschrift nicht nur auf die Geschäftsgebühr gem. Nr. 2300 VV RVG, sondern auch auf die Geschäftsgebühr i.S.d. Schreibens einfacher Art gem. Nr. 2301 VV RVG ab.

 

Rz. 97

Entsprechend dem Wortlaut der Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG ist die Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr anzurechnen und nicht umgekehrt. Dies bedeutet, dass von der vorgerichtlichen Geschäftsgebühr kein Abzug errechnet wird, sondern die Hälfte der Geschäftsgebühr – höchstens 0,75 – von der Verfahrensgebühr subtrahiert wird.

 

Rz. 98

Da der Gesetzgeber in der zuvor benannten Vorbemerkung von "Gebühr" spricht, bezieht sich die Anrechnungsverpflichtung nicht auf die Vergütung als Ganzes, so dass Auslagen wie Dokumentenpauschalen, Post- und Telekommunikationsentgelte, Reisekosten, Umsatzsteuer usw. bei der Anrechnung unberücksichtigt bleiben.

 

Rz. 99

 

Hinweis

Bevor der RA die Anrechnung vornimmt, sollte er zunächst einmal prüfen, ob überhaupt die Tatbestandsvoraussetzungen hierfür vorliegen. Eine Anrechnung findet nur statt, wenn

vorgerichtlich und gerichtlich derselbe RA mandatiert ist,
der RA für denselben Auftraggeber tätig ist,
der RA gegen denselben Gegner die Interessen seines Mandanten vertritt,
der Gegenstand der vorgerichtlichen Vertretung und des gerichtlichen Verfahrens identisch sind und
ein zeitlicher Zusammenhang noch besteht.
 

Rz. 100

Wird außergerichtlich und gerichtlich dieselbe RA-Sozietät tätig, steht dies der Beauftragung desselben RA gleich. Dies gilt auch, wenn der Auftraggeber unterschiedliche RAe einer Sozietät für die außergerichtliche und gerichtliche Tätigkeit mandatiert. Wer nämlich einen einer Anwaltssozietät angehörenden Rechtsanwalt beauftragt, schließt den Anwaltsvertrag im Zweifel nicht nur mit dem Rechtsanwalt ab, der seine Sache bearbeitet, sondern mit allen der Sozietät angehörenden RAen.[39] Seit der Anerkennung der Rechtsfähigkeit der Gesellschaft bürgerlichen Rechts kann der Anwaltsvertrag auch unmittelbar zwischen der RA-Sozietät und dem Mandanten geschlossen werden.[40]

 

Rz. 101

Die Personenidentität des Mandanten und des Gegners wird ebenfalls bejaht, wenn Rechtsnachfolge eingetreten ist und das Mandat für oder gegen den Rechtsnachfolger fortgeführt wird.[41]

[39] BGH NJW 1971, 1801 = MDR 1971, 834.
[40] BGH NJW 2012, 2435–2442 = AnwBl 2012, 773–774.
[41] Asperger/Hellstab/Richter, RVG effizient, 5. Kap. Rn 120.

a) Anrechnung bei Gegenstandsidentität und bei unterschiedlichen Werten

 

Rz. 102

Ist der Gegenstand der außergerichtlichen und gerichtlichen Tätigkeit identisch, ist die außergerichtliche Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr anzurechnen. Gegenstandsidentität kann in voller Höhe gegeben sein, der Wert des Gegenstandes der außergerichtlichen Tätigkeit kann aber auch im Verhältnis zur gerichtlichen Interessenwahrnehmung niedriger oder höher sein.

 

Rz. 103

 

Beispiel für "identischer Gegenstand"

Der RA fordert den Gegner auftragsgemäß vorgerichtlich auf, die Forderung seines Mandanten in Höhe von 15.000,00 EUR auszugleichen. Nachdem der Gegner aufgrund der außergerichtlichen Bemühungen des RA nicht zahlt, erhebt der RA Klage mit dem Ergebnis, dass nach mündlicher Verhandlung das Urteil antragsgemäß ergeht.

 
Außergerichtliche Tätigkeit:  
Geschäftsgebühr gem. Nr. 2300 VV RVG (1,3) aus 15.000,00 EUR 845,00 EUR
Post- und Telekommunikationsentgelte gem. Nr. 7002 VV RVG 20,00 EUR
Zwischensumme 865,00 EUR
19 % Umsatzsteuer gem. Nr. 7008 VV RVG 164,35 EUR
Summe 1.029,35 EUR
Gerichtliche Vertretung:  
Verfahrensgebühr gem. Nr. 3100 VV RVG (1,3) aus 15.000,00 EUR 845,00 EUR
./. Anrechnung gem. Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG (0,65) aus 15.000,00 EUR ./. 422,50 EUR
  422,50 EUR
Terminsgebühr gem. Nr. 3102 VV RVG (1,2) aus 15.000,00 EUR 780,00 EUR
Post- und Telekommunikationsentgelte gem. Nr. 7002 VV RVG 20,00 EUR
Zwischensumme 1.222,50 EUR
19 % Umsatzsteuer gem. Nr. 7008 VV RVG 232,28 EUR
Summe 1.454,78 EUR
Gesamtbetrag aus außergerichtlicher und gerichtlicher Tätigkeit 2.484,13 EUR
 

Rz. 104

 

Beispiel für "Gegenstand der außergerichtlichen Tätigkeit ist geringer"

Der RA fordert den Gegner auftragsgemäß wiederholt schriftlich und telefonisch vorgerichtlich auf, wiederkehrende Forderungen seines Mandanten per April in Höhe von 4.000,00 EUR auszugleichen. Durch mehrfache Umzüge des Schuldners in kürzester Zeit waren mehrere Adressermittlungen erforderlich. Nachdem der Gegner aufgrund der außergerichtlichen Bemühungen des RA nicht zahlt, erhebt der RA Klage wegen der per September offenstehenden Beträge von nunmehr insgesamt 9.000,00 EUR mit d...

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