Rz. 85

Etwas anderes gilt nur dann, wenn besondere Umstände vorliegen, die das Geheimhaltungsinteresse des Absenders überwiegen lassen. So wäre es etwa in dem Fall, dass eine Liebesbeziehung mit dem Tod des Erblassers endet und die Kommunikationsinhalte den Kernbereich der persönlichen Lebensführung des Partners betreffen (vgl. § 3 Rdn 35).

 

Rz. 86

Die Ausnahme für solche Inhalte, die den Kernbereich der privaten Lebensführung betreffen, hat allerdings nicht zur Folge, dass dadurch die Erben daran gehindert sind, auf die Kommunikationen des Erblassers zuzugreifen. Auch für die Dienstanbieter folgt daraus keine Pflicht oder das Recht, den Erben den Zugang zu den Benutzerkonten des Erblassers zu verweigern. Das hat seinen Grund darin, dass hier, im Rahmen der Auslegung der Einwilligung, letztlich eine Interessenabwägung stattfindet und die Interessen der Erben an der Zugangsgewährung die Interessen der Kommunikationspartner an der absoluten Wahrung ihrer Geheimnisse gegenüber den Erben überwiegen. Die Interessen Dritter sind hinreichend dadurch gewahrt, dass sie Rechte auf Herausgabe gegen die Erben haben (siehe Rdn 88); andere Rechte standen ihnen zu Lebzeiten des Erblassers auch nicht zu.

 

Rz. 87

Bereits der Umfang des Fernmeldegeheimnisses kann nur durch eine Abwägung der betroffenen Interessen ermittelt werden, denn das Fernmeldegeheimnis ist nichts anderes als eine spezielle Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und damit ein "Rahmenrecht". Dazu noch einmal der BGH (vgl. auch schon § 3 Rdn 28):[147]

Zitat

"Das allgemeine Persönlichkeitsrecht ist ein Rahmenrecht, dessen Reichweite nicht absolut feststeht. Diese muss vielmehr durch eine Abwägung der widerstreitenden grundrechtlich geschützten Belange bestimmt werden, bei der die besonderen Umstände des Einzelfalls sowie die betroffenen Grundrechte und Gewährleistungen der Europäischen Menschenrechtskonvention interpretationsleitend zu berücksichtigen sind. Der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht ist nur dann rechtswidrig, wenn das Schutzinteresse des Betroffenen die schutzwürdigen Belange der anderen Seite überwiegt (vgl. Senatsurteile vom 30.9.2014 – VI ZR 490/12, AfP 2014, 534, 536; vom 29.4.2014 – VI ZR 137/13, AfP 2014, 325 Rn. 8; vom 17.12.2013 – VI ZR 211/12, BGHZ 199, 237 Rn. 22). Der Bereich der Intimsphäre genießt überragend bedeutenden Schutz (vgl. BVerfGE 119, 1 Rn. 102). Der Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung ist einer Abwägung nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nicht zugänglich (BVerfG AfP 2009, 365 Rn. 25)."

 

Rz. 88

Auch wenn der "Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung ... einer Abwägung nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nicht zugänglich" ist, wie der BGH deutlich macht, so ändert sich das doch, sobald der Betroffene durch seine Einwilligung freiwillig auf diesen Schutz verzichtet hat. Auch hierzu noch einmal der BGH:[148]

Zitat

Der Schutz des Persönlichkeitsrechts kann allerdings entfallen oder zumindest im Rahmen der Abwägung zurücktreten, wenn der Grundrechtsträger den Kernbereich der privaten Lebensgestaltung von sich aus öffnet, bestimmte, an sich dem unantastbaren Kernbereich zuzurechnende Angelegenheiten der Öffentlichkeit zugänglich macht und damit zugleich die Sphäre anderer oder die Belange der Gemeinschaft berührt (vgl. Senatsurteile v. 25.10.2011 – VI ZR 332/09, NJW 2012, 767, Rn. 12 mwN; vgl. auch BVerfGE 80, 367, 374; 101, 361, 385; BVerfG, AfP 2009, 365 Rn. 25). Denn niemand kann sich auf den Schutz seiner Intim- oder Privatsphäre hinsichtlich solcher Tatsachen berufen, die er selbst der Öffentlichkeit preisgegeben hat (vgl. Senatsurteile v. 26.5.2009 – VI ZR 191/08, VersR 2009, 1085 Rn. 26; v. 25.10.2011 – VI ZR 332/09, aaO; v. 20.12.2011 – VI ZR 261/10, VersR 2012, 368, Rn. 16 jeweils mwN; vgl. auch BVerfGE 101, 361, 385; BVerfG, NJW-RR 2007,

1191, 1193).

 

Rz. 89

Der von vielen Teilnehmern der Diskussion zum digitalen Nachlass geforderte Ausgleich zwischen den Interessen der Kommunikationspartner und den Interessen der Erben im Wege der "praktischen Konkordanz"[149] hat erst hier, also bei der Bestimmung des Umfangs des allgemeinen Persönlichkeitsrechts durch Abwägung ("Rahmenrecht") und bei der Bestimmung des Umfangs der erteilten Einwilligung, seinen richtigen Platz.[150]

 

Rz. 90

Für diesen Ausgleich der Interessen gelten die folgenden Überlegungen:

Die Möglichkeit, dass die Erben bei den Hinterlassenschaften solche Inhalte finden, die den Kernbereich der privaten Lebensgestaltung betreffen, besteht unabhängig vom Medium, mit dem der Betroffene solche Inhalte dem Erblasser offenbart hat. So ist es bspw. bei Briefen und "analogen" Fotos schon immer gewesen. Die Folge kann aber nicht sein, dass die Erben die privaten Schriftstücke oder die Briefschaften des Erblassers nicht mehr durchsehen dürfen. Sie müssen den Nachlass in Besitz nehmen und sichten können und dazu gehören auch die privaten Schrift- und Erinnerungsstücke des Erblassers. Dieselben Überlegungen gelten auch für d...

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