Rz. 232

Gemäß § 1 Abs. 5 S. 1 KSchG besteht bei einem Interessenausgleich mit Namensliste die Vermutung, "dass die Kündigung durch dringende betriebliche Erfordernisse i.S.v. § 1 Abs. 2 KSchG bedingt ist."

Diese Vermutung der dringenden betrieblichen Erfordernisse begründet eine gesetzliche Vermutung i.S.v. § 292 ZPO, die im Kündigungsschutzprozess zu einer Beweislastumkehr führt. Die Darlegungs- und Beweislast für das Fehlen dringender betrieblicher Erfordernisse trägt damit der Arbeitnehmer.[430] Der Arbeitnehmer muss daher den Vollbeweis führen, dass für seine Kündigung dringende betriebliche Erfordernisse nicht vorliegen.[431]

 

Rz. 233

 

Hinweis: Darlegungs- und Beweislast dringende betriebliche Erfordernisse

Der Arbeitnehmer sollte im Hinblick auf die Widerlegung der obigen Vermutung – auch Mithilfe des Betriebsrats – recherchieren, nachfragen und prüfen, ob sein Arbeitsplatz tatsächlich wegfällt, und muss zu diesem Sachverhalt auch vortragen. Im Streitfall hat der Arbeitnehmer dazulegen, weshalb sein Arbeitsplatz nicht weggefallen ist und oder eine anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit in demselben (oder einem anderen Betrieb) besteht.[432] Eine bloße Erschütterung der Vermutung reicht nicht aus.[433] Der Arbeitnehmer hat vielmehr darzulegen, weshalb der Arbeitsplatz trotz der Betriebsänderung noch vorhanden ist oder auf welchem anderen Arbeitsplatz im Betrieb er weiterbeschäftigt werden kann.[434]

 

Rz. 234

Streitig ist, ob die Vermutung auch fehlende Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten in anderen Betrieben des Unternehmens erfasst. Nach dem BAG begründe angesichts des die gesamt soziale Rechtfertigung der Kündigung erfassenden Normzwecks auch ein mit einem Einzelbetriebsrat geschlossener Interessenausgleich die fehlende Weiterbeschäftigungsmöglichkeit in anderen Betrieben, wenn sich die Betriebsparteien in ihren Verhandlungen damit befasst haben.[435] Davon sei regelmäßig auch dann auszugehen, wenn dies im Interessenausgleich nicht erwähnt werde. Bestreite der Arbeitnehmer jedoch erheblich und lege konkrete Anhaltspunkte für das Bestehen von Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten in anderen Betrieben dar, habe der Arbeitgeber seinerseits darzulegen und zu beweisen, dass die Betriebsparteien sich damit befasst haben.[436]

 

Rz. 235

Nach zutreffender Ansicht in der Literatur geht der Ansatz des BAG im Hinblick auf die Vermutungswirkung des Interessenausgleichs mit Namensliste für Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten über den Betrieb hinaus zu weit. Schließlich sehe § 125 Abs. 1 S. 1 InsO eine Beschränkung der Vermutungswirkung ausdrücklich auf den Betrieb vor. Eine Erweiterung der Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten in § 1 Abs. 5 KSchG auf Betriebe im Unternehmen sei ein offenkundiger Wertungswiderspruch.[437]

[430] HaKo/Mestwerdt/Zimmermann, § 1 Teil F KSchG Rn 738.
[431] HK-ArbR/Schubert, § 1 KSchG Rn 638.
[432] KR/Griebeling/Rachor, § 1 KSchG Rn 794, 795.
[433] KR/Griebeling/Rachor, § 1 KSchG Rn 796.
[437] HK-ArbR/Schubert, § 1 KSchG Rn 639.

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