Rz. 154

Die Sozialauswahl nach § 1 Abs. 3 S. 1 KSchG erstreckt sich innerhalb des Betriebs auf diejenigen Arbeitnehmer, die objektiv miteinander vergleichbar sind.

Die Vergleichbarkeit der in die soziale Auswahl einzubeziehenden Arbeitnehmer richtet sich in erster Linie nach arbeitsplatzbezogenen Merkmalen und damit nach der bisher ausgeübten Tätigkeit,[266] aber auch nach der Qualifikation.[267]

[267] BAG v. 24.5.2005 – 2 AZR 295/12, AP BGB § 613a Nr. 284; KR/Griebeling/Rachor, § 1 KSchG Rn 660.

(1) Aufgabenbereich/Fähigkeiten und Kenntnisse

 

Rz. 155

Der Aufgabenbereich eines Arbeitnehmers ist gekennzeichnet durch arbeitsplatzbezogene Merkmale, also durch die ausgeübte Tätigkeit und die für den Arbeitsplatz erforderliche Qualifikation. Es ist zu prüfen, ob der Arbeitnehmer, dessen Arbeitsplatz weggefallen ist, die Funktion der anderen Arbeitnehmer wahrnehmen kann. Das ist nicht nur bei der Identität des Arbeitsplatzes, sondern auch dann der Fall, wenn der Arbeitnehmer aufgrund seiner Fähigkeit und Ausbildung eine andersartige, aber gleichwertige Tätigkeit ausführen kann. Der Vergleich vollzieht sich insoweit auf derselben Ebene der Betriebshierarchie (sog. horizontale Vergleichbarkeit, siehe auch unter Rdn 162).[268]

Bei einer teilweisen Identität der Aufgabenbereiche ist zu prüfen, ob der Arbeitnehmer, dessen Arbeitsplatz unmittelbar entfällt, Arbeitnehmer, die im Betrieb eine ähnliche Aufgabenstellung wahrnehmen können, ersetzen kann.[269] Die Vergleichbarkeit wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass einzelne Arbeitnehmer bestimmte Tätigkeiten besonders beherrschen.[270]

 

Rz. 156

 

Hinweis

Der Arbeitnehmervertreter sollte mit seinem Mandanten ausführlich seine Tätigkeit, seine Qualifikation, seine Stellung besprechen. Merkmale, nach denen hier bezüglich der Vergleichbarkeit vorgegangen werden kann, sind beispielsweise: Berufsausbildung, Zugehörigkeit zur gleichen Berufsgruppe (Techniker, Innen- oder Außendienstmitarbeiter, Pflegeassistent, Sekretariatsmitarbeiter) und zur gleichen Hierarchieebene im Betrieb.[271] Organigramme sind insoweit häufig nützlich.

 

Rz. 157

Nach der Rechtsprechung des BAG kann die tarifliche Eingruppierung – vor allem bei ausgesprochenen Hilfstätigkeiten – für die Beurteilung der Vergleichbarkeit in engen Grenzen herangezogen werden.[272] Umgekehrt schließt bei identischer Tätigkeit eine unterschiedliche Vergütungsgruppe eine Vergleichbarkeit nicht aus.[273]

Die Notwendigkeit einer kurzen Einarbeitungszeit steht nach Ansicht des BAG der Vergleichbarkeit nicht entgegen.[274] Es stellt somit auf einen unbestimmten Zeitraum ab, hat aber eine drei monatige Einarbeitungszeit bereits als zu lang angesehen.[275] Die Einarbeitungszeit derart einzuschränken wird zutreffend von der untergerichtlichen Rechtsprechung und Teilen der Literatur kritisiert. Vielmehr sollte z.B. auf die im Betrieb übliche Probezeit oder etwaige andere übliche Einarbeitungszeiten abgestellt werden.[276] Auch sollten vielmehr die Betriebszugehörigkeit und das Lebensalter in der Art Berücksichtigung finden, dass dem Arbeitgeber eine nicht nur kurze, sondern eine im Hinblick auf die Verbundenheit der Parteien angemessene Einarbeitungszeit zugrunde gelegt werden.[277]

[269] BAG v. 24.5.2005 – 2 AZR 295/12, AP BGB § 613a Nr. 284.
[271] Vgl. Pauly/Osnabrügge/Ruge, Handbuch Kündigungsrecht, § 3 Rn 137.
[272] BAG v. 5.12.2002 – 2 AZR 697/01, NZA 2003, 849; BAG v. 2.2.2006 – 2 AZR 38/05, AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 142.
[273] KR/Griebeling/Rachor, § 1 KSchG Rn 665 m.w.N.
[276] HK-ArbR/Schubert, § 1 KSchG Rn 547; ErfK/Oetker, § 1 KSchG Rn 325.
[277] HK-ArbR/Schubert, § 1 KSchG Rn 547.

(2) Arbeitsvertrag/Direktionsrecht

 

Rz. 158

Eine Vergleichbarkeit bzw. Austauschbarkeit setzt voraus, dass der Arbeitgeber den kündigungsbedrohten Arbeitnehmer einseitig kraft seines auf dem Arbeitsvertrag beruhenden Direktionsrechts – somit ohne Kündigung, Änderungskündigung oder gemeinsame neue Vereinbarung mit dem Arbeitnehmer – auf einen anderen Arbeitsplatz um- bzw. versetzen kann.

Da die Versetzung im Vergleich zur Kündigung das mildere Mittel und bei Wegfall des bisherigen Arbeitsplatzes regelmäßig nicht unbillig ist, sind Beschränkungen der Ausübung des Direktionsrechts durch den Vorbehalt des billigen Ermessens nach § 106 GewO nicht zu berücksichtigen.[278]

 

Rz. 159

Je präziser die arbeitsvertraglich geschuldete Tätigkeit und die Funktion im Arbeitsvertrag beschrieben sind, umso kleiner der Kreis der vergleichbaren Arbeitnehmer.

 

Rz. 160

 

Hinweis

Der Arbeitgeber, der sehr spezifisch die Tätigkeit und die Funktion im Arbeitsvertrag beschreibt und möglicherweise sich auch keine Zuweisung anderer gleichwertiger Tätigkeiten zusichern ließ, mag diese Vorgehensweise anlässli...

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