Rz. 74

Gemäß § 1 Abs. 2 S. 3 Alt. 1 KSchG ist die Kündigung auch sozialwidrig, wenn die ­Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers nach zumutbaren Umschulungs- und Fort­bildungsmaßnahmen möglich ist und der Arbeitnehmer sein Einverständnis hierzu ­erklärt hat. Nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit muss der Arbeitgeber vor Ausspruch einer Beendigungskündigung prüfen, ob eine Weiterbeschäftigung zu geän­derten Arbeitsbedingungen – möglicherweise auch nach zumutbaren Umschulungs- und Fortbildungsmaßnahmen – möglich ist. Aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ergibt sich der Vorrang der Änderungskündigung vor der Beendigungs­kündigung.[127]

 

Rz. 75

Der Begriff Umschulung und Fortbildung ist im KSchG nicht definiert. Es kann insoweit auf §§ 1, 53, 58 BBiG zurückgegriffen werden.[128] Umschulung ist die Ausbildung in einem anderen Beruf. Unter Fortbildung versteht man die Weiterbildung in dem bisherigen Beruf.

Der Arbeitgeber ist verpflichtet, dem Arbeitnehmer ein solches Angebot zu machen, wenn ein Arbeitsplatz frei ist und mit hinreichender Sicherheit voraussehbar ist, dass nach Abschluss der Maßnahme eine Beschäftigungsmöglichkeit aufgrund der durch die Fortbildung oder Umschulung erworbenen Qualifikation besteht.[129] Ein neuer Arbeitsplatz muss nicht eingerichtet werden.[130]

 

Rz. 76

Wie lange die Fortbildung oder Umschulung dauern kann, damit diese dem Arbeitgeber noch zumutbar ist, ist höchstrichterlich nicht entschieden. Das BAG hat im Einzelfall bei einem Arbeitnehmer, der vier Jahre beschäftigt war, eine Umschulungsdauer von zwei Monaten als zumutbar angesehen.[131] In der Literatur wird zutreffend angenommen, dass für die Höchstdauer als normativer Anhaltspunkt auf die zeitlich längste gesetzliche Kündigungsfrist, somit sieben Monate, zurückgegriffen werden sollte.[132] Diese soll auch verlängert werden können, wenn die Maßnahme durch arbeitsförderungsrechtliche Leistungen gefördert wird.[133]

[128] KR/Griebeling/Rachor, § 1 KSchG Rn 817.
[129] BAG v. 7.2.1991 – 2 AZR 205/90, AP KSchG 1969 § 1 KSchG Nr. 1.
[130] BAG v. 7.2.1991 – 2 AZR 205/90, AP KSchG 1969 § 1 KSchG Nr. 1.
[132] Vgl. SPV/Preis, Rn 1002.
[133] Vgl. SPV/Preis, Rn 1002; Pauly/Osnabrügge/Ruge, § 3 Rn 107.

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